Bild des Monats Februar 2011

 

 

Stadtbahn für Hamburg

 

Unser Bild des Monats zeigt diesmal keine Verkehrsszene aus der Vergangenheit, sondern wagt einen Blick in die Zukunft. Eine moderne Niederflurstraßenbahn überquert den Winterhuder Marktplatz. An dieser Stelle fuhren bereits bis 1977 Straßenbahnen. Aber dieser Beitrag soll nicht zurückschauen, weil die Niederflurstraßenbahnen von heute nur noch wenig gemein haben mit der Straßenbahn, wie sie die älteren Hamburger noch kennen. Stattdessen soll versucht werden, die Hintergründe für dieses zukunftsträchtige Verkehrsprojekt darzustellen. Es wird auch auf die Gegner des Stadtbahnprojekts eingegangen, die mit einer Mischung aus überzogener Darstellung der sich aus ihrer Sicht stellenden Probleme, gepaart mit theatralischen Einlagen, ein erstaunliches Medienecho ausgelöst haben. Es bleiben aber Zweifel, ob – wie in letzter Zeit aus Kreisen der Gegner und Skeptiker behauptet – die Mehrheit der Hamburger gegen den Bau der Stadtbahn ist. Eine als repräsentativ zu bezeichnende Umfrage ist dem Verfasser dieser Zeilen nicht bekannt.

 

Die Planung für eine moderne Niederflurstraßenbahn, in Abgrenzung zu der alten Straßenbahn als Stadtbahn bezeichnet, beruht auf dem am 18.11.2009 einstimmig gefassten Grundsatzbeschluss der Bürgerschaft zur Einführung dieses Verkehrssystems in Hamburg (Bürgerschaft-Drucksache 19/4330). Er zeigt, dass die Stadtbahn kein „Prestigeprojekt nur einer Partei“ sein kann, weil die Zustimmung aus den Reihen aller vier in der Bürgerschaft vertretenen Parteien erfolgte. Die Stadtbahn berührt schon seit Beginn der 1990er Jahre die politischen Gemüter im Stadtstaat, von der einen oder anderen Partei immer mal in das öffentliche Bewusstsein gebracht. In den letzten beiden Jahrzehnten forderten CDU, GAL und SPD - unterschiedlich ausgeprägt – die Wiedereinführung der Straßenbahn als moderne Stadtbahn. Erinnert sei auch daran, dass 2001 die vom damaligen rot-grünen Senat aufgestellten Pläne für eine Stadtbahn soweit vorangeschritten waren, dass das für die Umsetzung notwendige Planfeststellungsverfahren nahezu beendet war, der Feststellungsbeschluss erfolgte aus Rücksicht auf den neuen Senat nicht mehr. Der Wechsel zum Bündnis aus CDU und Schill-Partei sowie FDP führte zur Aufgabe dieses Projekts, obwohl gerade der neue Bürgermeister von Beust (noch als Oppositionsführer) immer für die Stadtbahn geworben hatte. Und das Interesse an der Stadtbahn der verschiedenen Parteien ist auch nach dem Grundsatzbeschluss der Bürgerschaft in 2009 geblieben, stellten doch seit dem immer wieder verschiedene Abgeordnete, insbesondere aber Abgeordnete der SPD, schriftliche Kleine Anfragen an den Senat, um sich über den Fortgang der Planungen zu informieren und eigene Überlegungen einzubringen.

 

Dass die Hamburger Verkehrspolitik vor einer wichtigen Zäsur steht, haben die Abgeordneten aller Bürgerschaftsfraktionen erkannt und mit ihrem Grundsatzbeschluss gezeigt, dass sie die Stadtbahn als beste Alternative für die sich in Hamburg immer mehr abzeichnenden Kapazitätsprobleme im Nahverkehr ansehen. Hamburg wird damit Beispielen anderer Großstädte, wie z.B. Paris, London, Barcelona und Straßburg, die zur Lösung ihrer Verkehrsprobleme auch auf (wiedereingeführte) moderne Niederflurstraßenbahnen setzen, folgen. Aber auch in Deutschland zeigen die Beispiele Berlin und München, dass eine moderne Straßenbahn bestehende Schnellbahnnetze gut ergänzen können.

 

Nach dem Bruch der schwarz-grünen Koalition hat der Erste Bürgermeister ein Ende des Projekts verkündet, ohne sich seine Entscheidung von der Bürgerschaft bestätigen zu lassen. Auch hat er sich in Stellungnahmen bis heute nicht von der Einführung einer Stadtbahn in Hamburg vollumfänglich distanziert. Das im November 2010 begonnene Planfeststellungsverfahren für den ersten Streckenabschnitt Bramfeld – U Kellinghusenstraße ruht derzeit.

 

In Hamburg sind die Fahrgastzahlen des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in den letzten fünf Jahren um rund 10 Prozent gestiegen. Nach einer Erhebung des ADAC war 2010 das teuerste Jahr für Autofahrer. Wachsende Nachfrage nach Kraftstoffen bei einem künftig stagnierenden Angebot, aber auch die vermehrte Spekulation mit Rohstoffen werden auch künftig für ein hohes und steigendes Preisniveau für Autofahrer sorgen. Hier besteht für die Betreiber des ÖPNV die Chance mit attraktiven Angeboten neue Kunden aus umsteigewilligen Autofahrern zu gewinnen. Allerdings belegt eine 2010 im Auftrag der Hamburger Sparkasse durch das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut erstellte Studie, dass in Hamburg – im Vergleich zu den fünf größten deutschen Städten – nur 19 % der Hamburger mit öffentlichen Verkehrsmitteln pendeln. Während Hamburg damit den niedrigsten Wert aufweist, erzielt Berlin mit 26 % den höchsten Wert. Im Gegenzug sind Hamburgs Pendler im motorisierten Individualverkehr mit 43 % (Berlin 31) führend. Als Begründung für den geringen ÖPNV-Anteil führt die Studie an, dass viele Hamburger das Angebot im Nahverkehr für nicht attraktiv genug halten, um zu wechseln. Die Studie zeigt, dass Städte mit einem hohen Anteil an Schienenkilometern im Nahverkehrsnetz (je Einwohner) auch höhere Nutzerzahlen im ÖPNV aufweisen. Der Trend zu höherer ÖPNV-Nutzung bei einem höheren Anteil an schienengebundenen Verkehrsmitteln bestätigt sich auch im internationalen Vergleich. 

 

Es besteht also noch Entwicklungspotential für den ÖPNV, das in Hamburg genutzt werden sollte, zumal sich Hamburg in diesem Jahr mit dem Titel „Europas Umwelthauptstadt“ schmückt. Aber bereits heute stoßen Buslinien in Hamburg, insbesondere bei den erfolgreichen MetroBussen, an ihre Kapazitätsgrenzen. Eine weitere Takt-Verdichtung auf einzelnen Buslinien führt schnell zu deren Unwirtschaftlichkeit, beruhen doch rund 70 % der  Betriebskosten auf Personalkosten. Im Gegensatz zu einem 18-Meter-Gelenkbus, mit dem sich durch einen Fahrer maximal 140 Personen (sehr beengt) befördern lassen, können mit einer Stadtbahn in der für Hamburg vorgesehenen Länge von 36 m mindestens 240 Fahrgäste bequem mitfahren. Auch erlaubt die BO Strab eine maximale Länge von 75 m für Stadtbahnzüge, so dass sich die Wirtschaftlichkeit der Stadtbahn gegenüber dem Bus aufgrund des geringeren Personalaufwands bei zunehmender Zuglänge noch erhöht. 

                             

Dem Grundsatzbeschluss der Bürgerschaft liegen u.a. folgende Überlegungen zugrunde:

 

·         Zunahme der Wohnbevölkerung bis in die 2020er Jahre

·         Klimaschutzziele des Hamburger Senats erfordern den Ausbau des Verkehrsangebots   

·         bestehende Defizite im Angebot, unzureichende Anbindung der Großsiedlungen Osdorfer Born und Steilshoop, Schnellbahnnetz nur radial auf die Innenstadt        ausgerichtet, leistungsfähige Tangentialverbindungen mit Schienenverkehrsmitteln fehlen

·         neue Schnellbahnverbindungen auf lange Sicht nicht finanzierbar

·         Busverkehr erreicht in Teilen Kapazitätsgrenze

·         steigende Kraftstoffkosten führen auch zu Kostensteigerungen im Busverkehr. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit zur „Elektromobilität“, die aufgrund des                           heutigen technischen Standards auf absehbare Zeit nur von elektrischen, schienengebundenen Fahrzeugen erreicht werden kann. 

·         Eine Stadtbahn benötigt im Gegensatz zu einer Schnellbahn keine aufwendigen Haltestellenbauwerke. Für die Fahrgäste ergeben so kurze Wege.   

 

Mit der Einführung der Stadtbahn in Hamburg können u.a. folgende Ziele erreicht werden:

 

·     verbesserte Anbindung von Großsiedlungen und weiteren dicht besiedelten Stadtteilen mit einem schnellen und leistungsfähigen Verkehrsmittel in Niederflurbauweise

·     wirtschaftliche, komfortable und leistungsfähige Bedienung anstelle hoch belasteter MetroBus-Strecken

·     Unterstützung der stadtentwicklungspolitischen Ziele, wie Aufwertung der städtebaulichen Situation der von der Stadtbahn durchfahrenden Straßenzüge, u.a. durch begrünte Gleiskörper

·     Angebotsverbesserung auf zunehmend stark nachgefragten tangentialen Verkehrsrelationen

·     umweltgerechte Bewältigung des erwarteten verkehrlichen Wachstums, aber auch Reduzierung von Emissionen des Kraftfahrzeugverkehrs

 

Ein Zielnetz von 52 Streckenkilometern ist mittelfristig anzustreben, um so die sich derzeit abzeichnenden Bedarfe abzudecken.

 

·     Bramfeld – Altona

·     Niendorf – Hauptbahnhof

·     Hauptbahnhof – Bramfeld

·     Steilshoop – Rahlstedt

·     Eimsbüttel – Arenen/Lurup – Osdorfer Born

 

Die erste Strecke hat u.a. folgende Vorgaben zu erfüllen:

 

·     es muss sich eine verkehrlich und betrieblich sinnvolle Einheit ergeben

·     Bramfeld und Steilshoop anbinden

·     Einzelstandorte mit großem Verkehrsaufkommen und dicht besiedelte Stadtteile bedienen

·     Einsparungen von Busleistungen ermöglichen

·     in der Nähe des geplanten Betriebshofs in Alsterdorf liegen

 

Untersucht wurden eine radiale Verbindung

 

Bramfeld – Steilshoop – Barmbek – Uhlenhorst – St.- Georg – Hauptbahnhof
und eine Tangentialverbindung
Bramfeld – Steilshoop – City Nord – Winterhude – Eppendorf – Eimsbüttel – Altona.

 

Die Strecke Bramfeld – Hauptbahnhof hätte eine weitere Radiallinie bedeutet, die auch Verkehr von bestehenden Schnellbahnlinien abzieht, ohne größere Einsparungen im Busverkehr zu bewirken. Auch wäre der Betriebshof nur über eine längere Betriebsstrecke zu erreichen. 

 

Die Entscheidung fiel zugunsten der Tangente Bramfeld – Altona, weil hierdurch die meisten  der o.g. Vorgaben erreicht werden können. Diese Verbindung kann 98.200 Einwohnern eine Schienenverbindung bieten - auch ohne größere Verlagerungen von der bestehenden U-Bahnlinie U 3. Weiter führt die Strecke unmittelbar am geplanten Betriebshof in Alsterdorf vorbei. Für den ersten Bauabschnitt Bramfeld – U Kellinghusenstraße (7,7 km), für den das Planfeststellungsverfahren derzeit ruht, sind Kosten in Höhe von 338 Mio. Euro zu erwarten, die sich wie folgt aufteilen:

 

Planung                                      18
Herstellung der Strecke           211
Betriebshof                                 61
Fahrzeuge                                  48

 

Die Strecke wird weitgehend auf eigenem Gleiskörper ausgeführt, so dass für Hamburg hier eine Förderung nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) in Höhe von 60 % möglich ist. Der Kostenanteil von Hamburg für den ersten Bauabschnitt beträgt bei Gewährung von Mitteln aus dem GVFG und anderen Fördermöglichkeiten, sowie der Übernahme der Kosten für Betriebshof und Fahrzeuge durch die HOCHBAHN als künftigen Betreiber, dann noch 57 Mio. Euro (vgl. Bürgerschaft-Drucksache 19/7955).

 

Und sind die Argumente der Stadtbahngegner, die hier beispielhaft wiedergegeben werden,  stichhaltig?

 

„Das Gesamtnetz kostet bis zu zwei Millarden Euro“ – vgl. Flugblatt der FDP

 

Nach den derzeitigen Kostenschätzungen des Senats (Bürgerschaft-Drucksache 19/7255) betragen die Kosten für die ersten vier Bauabschnitte (28 km) 1,010 Mrd. Euro, wobei der Anteil Hamburgs unter Annahme der o.g. Prämissen 394 Mio. Euro beträgt. Seriöse Kostenschätzungen für das Gesamtnetz von 52 km lassen sich derzeit nicht abgeben. Aber je weiter die Umsetzung verzögert wird, desto geringer werden die Chancen für Hamburg, Fördermittel vom Bund zu erhalten. Die von den Gegnern genannte Summe erscheint nicht sachlich begründet.

 

In einer Veranstaltung im November 2010 hat der Bund der Steuerzahler entgegnet, dass die Aussage „die Stadtbahn werde sich zu einer Elbphilharmonie auf Schienen entwickeln“ falsch ist, weil die Überprüfung der Kostenkalkulation für den ersten Streckenabschnitt ergab, dass die dort genannten Kostenansätze seriös sind.

 

„Wegfall von Stellplätzen“
Aus der Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der SPD-Abgeordneten Domres
(Bürgerschaft-Drucksache 19/7258) ergeben sich hierzu nähere Angaben. In vielen Fällen bestehen bereits heute Ausweich-Stellplätze in der Nähe bzw. es ist Ersatz vorgesehen

 

„Verkehrschaos am Winterhuder Marktplatz“
Im Zuge der Planung wurde bereits der Dialog mit den Anwohnern gesucht und umfangreiche Untersuchungen angestellt. Im Hinblick auf die geringste Einschränkung für den Individualverkehr befindet sich, wie im Bild des Monats zu erkennen, die Stadtbahnhaltestelle am Rande des Marktplatzes in der Ohlsdorfer Straße angeordnet
(vgl. a. Bürgerschaft-Drucksachen 19/7258 und 19/7955).

 

„Durch den jahrelangen Bau der Stadtbahn werden die Geschäftsleute in der Hudtwalckerstraße geschädigt.“Bei dem Bau einer Stadtbahn handelt sich um keinen Tiefbau, wie er bei unterirdisch verlaufenden Schnellbahnen anzutreffen ist. Die Bauarbeiten sind mit Straßenbaumaßnahmen zu vergleichen, wobei die Erreichbarkeit von Geschäftsgrundstücken immer gewährleistet wird. Da zwischen Baubeginn und Betriebsaufnahme des ersten Streckenabschnitts nur zwei Jahre vergehen sollen, ist mit „jahrelangen“ Behinderungen nicht zu rechnen. Erfahrungen aus anderen Städten zeigen, dass Geschäfte nach Eröffnung einer Stadtbahn steigende Kundenzahlen aufgrund der Aufwertung der Geschäftsstraße haben.    

 

„Die Stadtbahntrasse zerschneidet den Stadtteil“
Im Gegensatz zu stark befahrenden Straßen, die aufgrund ihrer Breite einen Stadtteil zerschneiden, wird eine Stadtbahntrasse zu einer Neugestaltung des Straßenraumes führen, die die Lebensqualität der Anwohner hebt.  

 

„Für die Strecke werden Bäume gefällt“
Aus der Antwort des Senats auf die o.g. Kleine Anfrage der SPD-Abgeordneten Domres ergeben sich hierzu nähere Angaben. Dieser sicherlich zu bedauernde Umstand führt aber zu Ausgleichsmaßnahmen, ein übliches Verfahren bei Straßenbauprojekten.

 

„Ein weiteres Schienenverkehrsmittel wird nicht benötigt, die bestehenden Verkehrsträger sind nachhaltig zu verbessern“ – vgl. Flugblatt der FDP
Belastbare Alternativen bleiben die Gegner der Stadtbahn leider schuldig. Die von Senat und Bürgerschaft angestellten Überlegungen zur künftigen Entwicklung Hamburgs erscheinen dagegen schlüssig.

 

Anzumerken ist, dass bei einem Verzicht auf die Stadtbahn auch erhebliche Investitionen im Busverkehr vorzunehmen sind, ohne die o.g. Ziele zu erreichen. Neben der Beschaffung weiterer Busse zur Verdichtung der Wagenfolge auf weiteren Buslinien, ist da auch an ein aufwendiges Busbeschleunigungsprogramm mit moderner Verkehrsleittechnik und weiteren Bus-Sonderspuren zu denken. Weiter ist der Bau eines weiteren Betriebshofs bereits heute  geboten, weil die vorhandenen Abstellflächen für Busse in Hamburg weitere Fahrzeuge nicht mehr aufnehmen können. Da vom Bund keine Zuschüsse (GVFG) für diese Investitionen zu erwarten sind, würde der Hamburger Haushalt mit Millionen ? belastet. Auch ist zu befürchten, dass die HOCHBAHN dann künftig den im Bundesdurchschnitt vorbildlich hohen Kostendeckungsgrad nicht mehr halten kann. Das hätte weitere Subventionen aus dem Haushalt der Freien und Hansestadt Hamburg zur Folge.

 

Auch wenn die Anwohner bereits frühzeitig durch die für die Planung (mit-)zuständige und auch als künftiger Betreiber vorgesehene HOCHBAHN über das Projekt informiert wurden, ist zu wünschen, dass künftig noch offensiver über die Chancen für Hamburg, die dieses Projekt birgt, berichtet wird. Weiterhin ist sich mit den (vermeintlichen) Argumenten der Gegner, sowie den ernsthaften Bedenken der Betroffenen auseinanderzusetzen.

 

Text: Lutz Achilles    


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