Bild des Monats Februar 2012
Vor 50
Jahren sehr schwere Sturmflut in Hamburg
Im
20. Jahrhundert erlebte Hamburg zwei Katastrophen, die über Jahrzehnte noch im
Bewusstsein der Bevölkerung nachwirkten. Da sind zum einen die schweren
Zerstörungen zu nennen, die über 200 Luftangriffe auf Hamburg in II. Weltkrieg
mit bis zu 50.000 Toten und nachhaltigen Veränderungen im Stadtbild
anrichteten. Und andererseits die über lange Zeit verdrängte Erkenntnis, dass
diese Stadt, obwohl rund 100 Kilometer von der Elbmündung in der Nordsee
entfernt liegend, auch von einer sehr schweren Sturmflut getroffen werden kann.
Vor 50 Jahren, im Februar 1962 wurde hieraus bittere Gewissheit. Beide
Ereignisse trafen auch den öffentlichen Personennahverkehr in der Millionenstadt,
allerdings in unterschiedlicher Weise. Durch den großen Einsatz vieler gelang
es aber wieder binnen kurzer Zeit, den Nahverkehr als „Lebensadern der Stadt“
wieder zu beleben. In diesen Tagen wird an die Sturmflut und deren Folgen auf
vielfältige Weise erinnert.
Eine
seit Wochen andauernde stürmische Westwind-Wetterlage führte bis Mitte Februar
1962 dazu, dass der gesamte deutsche Nordseeküstenbereich mit den Flüssen Ems,
Weser und Elbe immer wieder von Sturmfluten betroffen war. Am Morgen des
16.02.1962 erreichte ein Orkantief die Nordsee und es zeichnete sich eine
gefährliche Sturmflutlage ab, weil nicht ausreichend Wasser aus den
Flusstrichtern von Weser und Elbe bei Niedrigwasser abfließen konnte. Das
abendliche Niedrigwasser in Bremen und Hamburg entsprach in etwa dem eines
normalen Hochwassers. Der zunehmende Orkan drückte große Wassermengen in die
Flüsse, so dass das nun einsetzende Hochwasser schnell für extreme Wasserstände
sorgte. Am Pegel St. Pauli betrug der Wasserstand 5,70 m über Normal Null (NN).
Bei Wasserständen von über 5,50 m NN liegt eine sehr schwere Sturmflut vor.
Gegen Mitternacht spitzte sich so die Lage in weiten Teilen Norddeutschlands
zu. Im Bereich der Süderelbe kam es bereits zu ersten Deichüberflutungen.
Vor
den Toren Hamburgs an der Bunthäuser Spitze teilt sich die von Osten kommende
Elbe in die Norder– und Süderelbe auf. Dazwischen erstrecken sich mehrere
Flussinseln mit einer Fläche von 50km2, davon allein Wilhelmsburg
mit 35 km2. Alle wichtigen Verkehrswege von Hamburg nach Süden
Richtung Harburg verliefen zu dieser Zeit über diese Inseln. Neben der
Eisenbahn, die mit Dampf- und Dieselzügen zum S-Bahn-Tarif eine Fahrmöglichkeit
zwischen Hauptbahnhof und Harburg bot, stellte die Straßenbahn das wichtigste
Verkehrsmittel dar, um die Regionen innerhalb Hamburgs zu verbinden. Damals gab
es noch keinen Verkehrsverbund, so dass viele sich gegen die Eisenbahn als die
schnellere Verbindung entschieden, um nicht einen zusätzlichen Fahrschein
nachlösen zu müssen. Die Verbindung stellte die Straßenbahnlinie 11 her, die
zwischen Bahrenfeld und Rönneburg über Veddel – Wilhelmsburg verkehrte.
Die
letzte schwere Sturmflut mit sehr hohem Wasserstand hatte Hamburg 1825 erlebt.
Und das Hochwasser traf jetzt auf Deichanlagen, die bauliche Mängel aufwiesen
und nur eine Kronenhöhe bis zu 5,70 m hatten. Auf Hamburger Gebiet brachen die
Deiche an über 50 Stellen, insbesondere das tiefliegende Wilhelmsburg wurde
davon schwer getroffen und lief wie eine Badewanne binnen kurzer Zeit voll. Die
Sturmflut kostete in Hamburg mindestens 315 Menschen das Leben, mit knapp 150
km2 wurde rund 1/5 des Stadtgebietes überflutet. Die Bebauung der
Deichgebiete mit Behelfsheimen für die im II.Weltkrieg ausgebombte Bevölkerung
und die Flüchtlinge aus den Ostgebieten, sowie die unzureichende Alarmierung
der Bevölkerung in den Nachtstunden waren mit ursächlich für die hohe
Opferzahl.
Unser
Bild des Monats zeigt die Folgen, die der Deichbruch an der Harburger
Chaussee / Klütjenfelder Hauptdeich (Freihafengrenze) in Höhe Berliner Ufer
im Spreehafen anrichtete. Auf dieser Straße verkehrte die Straßenbahnlinie 11 –
auch nachts. Um 1:24 Uhr des 17.02.1962 wurde nach Überspülung des
Wilhelmsburger Platzes in Höhe des Bahnhofs Veddel der Straßenbahnbetrieb ab
Veddel Richtung Harburg unterbrochen. Zu dieser Zeit gab es noch keine
Funkverbindungen zwischen der Meldestelle im Hochbahnhaus und den Fahrern. Es
musste deswegen alles durch Aufsichtspersonal vor Ort und durch die
Störungsdienstwagen, die über Sprechfunk verfügten, geregelt werden. Der Fahrer
eines solchen Störungsdienstwagens war es auch, der dann in Höhe Wilhelmsburger
Platz die reguläre Nacht-11 stoppte. Kurz danach brach der Deich an der
Harburger Chaussee, über die die Straßenbahn mit ahnungslosen Fahrgästen kurz
darauf gefahren wäre.
Weniger
Glück hatte ein Fahrer des Betriebshof Harburg, der zu diesem Zeitpunkt mit
seinem Bus als Leerfahrt Richtung Veddel unterwegs war, um dort die Fahrgäste
von der Straßenbahn zu übernehmen. Sein Bus, der Wagen 6787, ein Magirus-Deutz
Saturn II, war schnell von den hereinbrechenden Wassermassen eingeschlossen.
Durch das Schiebefenster kletterte er auf das Dach und konnte nach vier Stunden
in Dunkelheit und bei Sturm von einem Schiffer mit Boot gerettet werden. Der
HOV erhält mit dem Wagen 6799 ein Fahrzeug aus dieser ersten, 1959 für die
HOCHBAHN gebauten Großserie von 95 Bussen (Wagen 6726 – 6799 + 6680 – 6699 +
5099) des „Typs Hamburg“. Auch den Fahrer des Störungsdienstwagens traf es, auf
dem Weg zur Autobahn stürzte eine hohe Welle sein Fahrzeug um, ein Sprung auf
das Fahrzeug rettete ihn.
Um
3:00 Uhr am Morgen des 17.02.1962 stellte die HOCHBAHN schließlich den Betrieb
zwischen Hamburg und Harburg ein. Zu dieser Zeit war auch der Straßenbahntunnel
bei der Autobahnauffahrt Veddel schon überflutet. Auch die Eisenbahn fuhr kurze
Zeit später nicht mehr. An diesem Sonnabend war nicht nur Wilhelmsburg
betroffen, sondern auch das Hafengebiet, Billbrook und Teile der Innenstadt.
Die heute im Bereich der Überseebrücke existierende Hochwasserschutzanlage gab
es damals noch nicht, so dass das Elbwasser von dort Richtung Innenstadt – und
vom Alsterfleet kommend - bis zum Rathausmarkt vordringen konnte. Deswegen kam
es auch zu Wassereinbrüchen in den U-Bahnhaltestellen Meßberg und Rathaus.
Zusätzlich drang noch Wasser vom Fleet in Höhe Mönkedamm in den U-Bahntunnel
der Ringlinie ein.
Wie
erwähnt, war die Bevölkerung, insbesondere in den gefährdeten Gebieten,
unzureichend über die Gefahr einer schweren Sturmflut gewarnt worden. Auch den
zuständigen Innensenator Helmut Schmidt, den späteren Bundeskanzler und
heutigen Hamburger Ehrenbürger, - in der Nacht von einer Dienstreise nach
Hamburg zurückgekehrt - informierte man, trotz Ausnahmezustand, erst um 6:40
Uhr. Binnen kurzer Zeit übernahm er die Koordination der Rettungskräfte und
sorgte persönlich dafür, dass es zur Unterstützung der Rettungskräfte zum
Einsatz von Bundeswehr– und Nato-Soldaten kam. Hubschrauber und Sturmboote
retteten in den nächsten Tagen zahlreiche vom Wasser eingeschlossene Bewohner,
die ohne Strom und Heizung bei sinkenden Temperaturen in den
Überflutungsgebieten aushaarten.
Durch
die Überschwemmungen fielen Kraftwerke der stadteigenen HEW aus. Im gesamten
Stadtgebiet kam es zu Stromabschaltungen. Straßenbahnen und U-Bahnen hatten
ihre Geschwindigkeit zu drosseln, Frischstromheizungen durften nicht benutzt
werden. Trotzdem waren zeitweilige Betriebseinstellungen notwendig. In der
Nacht zum Sonntag mussten zahlreiche Straßenbahnen im Stadtgebiet abgestellt
und durch eine Sturmlaterne gesichert werden. Die Stromabschaltung führte auf
den Betriebshöfen zum Ausfall der Betankungsanlagen, so dass die Omnibusse, die
dringend für Ersatz– und Hilfseinsätze benötigt wurden, zeitweilig nicht im
erforderlichen Umfang mit Dieselkraftstoff versorgt werden konnten. Trotzdem
gelang es der HOCHBAHN am Vormittag des 17.02.1962, 60 Omnibusse für
Sondereinsätze, davon jeweils zehn für die Räume Bergedorf, Veddel und Harburg,
zur Verfügung zu stellen. Auch die VHH war mit Omnibussen im Einsatz. Im
Stadtgebiet wurden mehrere Landeplätze für Hubschrauber eingerichtet, Busse
brachten die Evakuierten in Behelfseinrichtungen.
Die
Omnibusse übernahmen Ersatzleistungen für die Straßenbahn und die hochflurigen
Fahrzeuge drangen, soweit möglich, in die überfluteten Gebiete ein, um eine
Verbindung nach Harburg zu ermöglichen. Für das Personal bedeutete das
teilweise unglaubliche Tagesleistungen von über 20 Stunden. Während sich ab
Dienstag, 20.02.1962, der Verkehr im übrigen Stadtgebiet wieder weitgehend
normalisierte - die in Harburg eingeschlossenen Straßenbahnzüge fehlten aber
noch dem Betrieb -, ruhte der durchgehende Straßenbahnbetrieb nach Harburg
weiter. Das Wasser ging nur allmählich zurück, der einsetzende Frost behinderte
die Aufräumarbeiten. Die Abpumparbeiten im Straßenbahntunnel Veddel begannen am
19.02.1962, am Mittag des 20.02.1962 war die Anlage soweit hergerichtet, dass
die Straßenbahnlinien 11 und 14 den Bf. Veddel erreichen konnten. Busse
stellten die Verbindung nach Wilhelmsburg und Harburg her, zunächst über die
Wilhelmsburger Reichsstraße. Ab 23.02.1962 pendelte die Straßenbahn wieder
zwischen Rönneburg und der Schleife Mengestraße in Wilhelmsburg.
Die
Bundesbahn leitete am 19.02.1962 im Berufsverkehr einzelne Züge von Harburg und
Hamburg auf Hafenbahngleisen über Hohe Schaar. Um den Pkw-Verkehr im
Freihafengebiet zu reduzieren, richtete die HOCHBAHN im Hafengebiet die
Sonderlinien 98 und 99 ein, die zu einem Fahrpreis von 30 Pfg. vom 20.02 bis
zum 22.02.1962 verkehrten.
An
den unterspülten Gleisen in der Harburger Chaussee und der Georg-Wilhelm-Straße
begannen die Aufräumarbeiten. Auf dem Foto sieht man links den
Deichdurchbruch und die vollständig unterspülten Gleise. Der Blick geht von der
bis Ende Oktober 1961 durch die Straßenbahnlinie 14 befahrene Freihafenstrecke
in Richtung Veddel. Rechts zweigen die Gleise der Linie 11 in die
Georg-Wilhelm-Straße ab. Den Wiederaufbau in diesem Bereich nutzte man auch
dazu, die stillgelegte Freihafenstrecke vom Netz abzutrennen. Am 28.02.1962 um
15 Uhr erfolgte eine erste Probefahrt ab Veddel über die wiederhergestellte
Harburger Chaussee, am Folgetag, 01.03.1962, nahm die Linie 11 auf der
Gesamtstrecke den Betrieb wieder auf. Die Bahn fuhr durch zerstörtes Gebiet,
denn die Flut hatte 20.000 Hamburger obdachlos gemacht und vorbei an
Warnschildern wegen Seuchengefahr, die von 25.000 verendeten Tieren ausging.
Am
26.02.1962 versammelten sich auf dem Rathausmarkt und den angrenzenden Straßen
geschätzte 150.000 Hamburger, um der Toten zu gedenken und den Helfern zu
danken. Am 08.05.1962 stiftete der Hamburger Senat eine Dankmedaille „Sturmflut
1962“, die Helfern verliehen wurde, aber traditionsgemäß nicht an Hamburger.
Und welche Lehren haben die Verantwortlichen aus dieser Katastrophe gezogen? Die Deiche wurden neu gebaut, verstärkt und auf Kronenhöhen zwischen 7,20 m und 9,25 m gebracht, Sperrwerke errichtet, Überschwemmungsgebiete ausgewiesen, Evakuierungspläne erarbeitet und das Melde- und Informationswesen grundlegend verändert. An zahlreichen Bushaltestellen in den hochwassergefährdeten Gebieten gibt es für die Bevölkerung besonders gekennzeichnete Sammelpunkte, von denen Omnibusse die Betroffenen abtransportieren können. Eine erste Bewährung gab es mit der sehr schweren Sturmflut im Januar 1976, die mit 6,45 m über NN noch höher als 1962 auflief. Schwer betroffen waren damals die Gebiete an der Unterelbe in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Aber absolute Sicherheit vor den Naturgewalten gibt es nicht, vor allem nicht in Zeiten des Klimawandels und weiterer Elbvertiefungen.
Text: Lutz Achilles / HOV