Bild des Monats März 2012

 


 

„Photoshop-Manipulation“ – schon anno 1913?

 

Wie bereits im Bild des Monats für den Januar 2012 angekündigt, gibt es in diesem Jahr „100 Jahre Hamburger U-Bahn“ zu feiern. Bei der bis heute von den Hamburgern traditionell als „Hochbahn“ bezeichneten Schnellbahn handelt es sich nach Berlin um die zweitälteste  U-Bahn Deutschlands. Am 15.02.1912 befuhren die Ehrengäste mit zwei Sonderzügen die Strecke vom Rathausmarkt (heute Rathaus)über Hauptbahnhof nach Barmbek (bis 1947 noch mit „ck“ geschrieben). In den folgenden zwei Wochen konnten die Hamburger kostenlos ihr „Weltstadt-Verkehrsmittel“ näher kennen lernen. Am 01.03.1912 begann dann der reguläre Betrieb. Am 10.05. und 25.05.1912 wurde die Strecke von Barmbek zunächst bis Kellinghusenstraße und dann bis Millerntor (heute St.Pauli) verlängert. Am 29.06.1912 erreichten die Züge vom Westen kommend die Haltestelle Rathausmarkt, der Hochbahn-Ring war geschlossen. Wie schon am 15.02. diesen Jahres, wird die Hamburger Hochbahn AG als Betreiberin auch am 10.05., 25.05 und 29.06.2012 zur Erinnerung an die Eröffnungsdaten vor 100 Jahren mit historischen U-Bahnwagen im Fahrgastverkehr auf der Ringstrecke fahren, am 29.06.2012 aber baustellenbedingt nicht zwischen Barmbek und Kellinghusenstraße.

 

Die Ringstrecke entstand zwischen 1906 und 1912 und war ein vielbeachtetes Ereignis, das auch schnell von den Ansichtskarten-Herstellern auf vielfältige Art gewürdigt wurde. Die Ansichtskarte erfreute sich vor 100 Jahren einer großen Beliebtheit, um Freunden und Bekannten eine bebilderte Nachricht zu übermitteln. Die große Vielfalt an Motiven erlaubte es so den Versendernhäufig,Grüße mit Abbildungen aus dem näheren Wohnumfeld zu verschicken. Natürlich war die Hamburger Hochbahn umgehend ein beliebtes Motiv – auch schon vor deren Eröffnung! Hierfür musste dann mehr oder weniger geschickt retuschiert werden. Hilfreich war, dass man dafür auf Abbildungen von Berliner U-Bahnzügen zurückgreifen konnte. Zwar waren einzelne U-Bahnwagen für  Berlin, wie später auch für Hamburg, bei der Wagenbauanstalt Falkenried in Hamburg-Eppendorf  gebaut worden. Doch weisen diese Wagen für die beiden Städte Unterschiede auf, am auffälligsten sinddie unterschiedlichen Frontpartien und Dachformen. Insbesondere Berliner Kleinprofil-U-Bahnwagen haben in allen Wagen an den beiden Enden eine Nottür, um dem Personal und den Fahrgästen auf Tunnelstrecken mit geringem Profil einen Fluchtweg zu eröffnen. Und Hamburger U-Bahnwagen hatten bis zur 14. Lieferung keine Oberlichtaufbauten zur Entlüftung. Allein diese beiden Unterschiede lassen bei unserem Bild des Monats, einer 1913 gelaufenen Ansichtskarte, erkennen, dass sich hier ein Berliner U-Bahnzug vor der Einfahrt in die Haltestelle Rödingsmarkt befindet, deren Bahnsteighalle am rechten Bildrand aber noch fehlt. Das Viadukt über den Rödingsmarkt zumMönckedammfleet entstand 1911, die Haltestelle war aber erst 1912 fertig. Dass man am Motiv „gebastelt“ hat, wird an den fehlenden Gleisen noch offenkundiger, auch ist dem Retuscheur entgangen, dass Schienenfahrzeuge nicht „die Kurve schneiden“. Auch bei dem im Hintergrund unter der Brücke hindurchfahrenden Straßenbahnzug wurde am Beiwagen „Hand  angelegt“. Nur der Centralbahnwagen im Vordergrund scheint weitgehend original belassen zu sein.

 

Achten Sie gerne das nächste Mal darauf, wenn Sie ein Motiv von der Hamburger U-Bahn aus der Anfangszeit betrachten. Sie werden staunen, wie häufig auf Ansichtskarten „die Wirklichkeit nachempfunden“ worden ist. Aber im Vergleich zur heutigen Digitaltechnik mit der Möglichkeit zur Motivmanipulation in Perfektion, lassen Retuschen von früher erkennen, dass hier Menschen mit unterschiedlich ausgeprägten Fähigkeiten versucht haben den Betrachter zu täuschen. Was ist Ihnen lieber?

 

 

Text: Lutz Achilles / HOV


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