Bild des Monats März
2013
IKARUS-Omnibusse
in Hamburg und Neumünster
Vor rund 40 Jahren war Hamburg Schauplatz einer kleinen
Sensation im Omnibusbau. Europa war in „West“ und „Ost“ geteilt, eine Annäherung
der beiden Machtblöcke auf dem politischen Verhandlungswege hatte gerade
begonnen. Die VR Ungarn spielte im Ostblock eine ökonomische Sonderrolle. So
durften westliche Großunternehmen in Ungarn investieren. Es gelang den
bundesdeutschen Unternehmen MAN und Gutehoffnungshütte über deren gemeinsames
Tochterunternehmen Ferrostaal AG, in der westungarischen Stadt Györ ein großes
Motorenwerk zu errichten. Zur Kompensation sollte der Absatz ungarischer
Industrieprodukte „im Westen” gefördert werden. Dazu zählten auch Omnibusse.
Hieran wollen wir mit unserem Bild des Monats erinnern. Das IKARUS-Werk in
Budapest war damals der weltweit größte Omnibushersteller, dessen Absatzmarkt
sich allerdings auf die ehemaligen RGW-Länder und die Dritte Welt beschränkte,
und wurde auf östlicher Seite zum Kooperationspartner.
Hamburg unterhielt freundschaftliche Kontakte
zu Ungarn, eine ungarische Firma errichtete zu Beginn der 1970er-Jahre im
Hamburger Hafen eine 29.000 m² große Container-Packhalle. Weitere Investitionen
in Hamburg waren laut Presseberichten vorgesehen. Hamburg wurde im Gegenzug
ausersehen, künftig Omnibusse aus ungarischer Produktion abzunehmen.
Die
Hamburger Hochbahn AG (HHA), die über jahrzehntelange Erfahrungen im Omnibusbau
verfügte und maßgeblich an der Entwicklung des VÖV-Standardlinien-Omnibusses
beteiligt war, konnte wertvolle Unterstützung bei der Konstruktion eines an die
westeuropäischen Verhältnisse angepassten Omnibustyps leisten. Im Frühjahr 1970
wurde die (damalige) HHA-Tochter „Gesellschaft für Verkehrsberatung und
Verfahrenstechniken mbH” (GVV - heute Hamburg-Consult), durch einen
Beratungsvertrag in das Projekt eingebunden. Auf ungarischer Seite stand
das Außenhandelsunternehmen MOGÜRT, das die Verbindung zum IKARUS-Werk herstellte.
Vereinbart war, dass zwei Probewagen vom Typ
IKARUS 190 - die die bundesdeutschen Vorgaben für VÖV-Standardlinienbusse
erfüllten - im IKARUS-Werk entwickelt und gebaut werden. Von den Probewagen
sollte dann ein Wagen in Hamburg unter Praxisbedingungen erprobt werden. Ziel
war es, für diesen Fahrzeugtyp die Zulassung durch das Kraftfahrbundesamt zu
erlangen. Der zweite Wagen verblieb in Budapest, um Änderungen an diesem
Omnibus aufgrund der in Hamburg gewonnenen Erfahrungen sofort durch das
Herstellerwerk umsetzen zu lassen und diese dann erneut zu erproben.
Nicht alle Komponenten für einen Standardomnibus waren in
Ungarn herstellbar, so dass u.a. auch die Unternehmen Westinghouse (Bremsen),
Webasto (Heizung) und Kiekert (Türen) mit in dieses Projekt eingebunden werden
mussten. Den einzubauenden Motor stellte das ungarische Motorenwerk RÁBA nach
einer MAN-Lizenz her. Für Entwicklung und Bau plante man rund ein Jahr.
Der im September 1971 auf eigener Achse von Ungarn nach
Hamburg überführte Probewagen wurde von der HHA unter der Wagennummer 2100 auf
dem Betriebshof Langenfelde stationiert. Die Erprobung erfolgte auf der Linie
191, aber auch die VHH wurde eingebunden und setzte den Bus zeitweise auf der
Linie 131 ein. Bis zum Herbst 1972 erfuhr der Probewagen noch eine Reihe von
Änderungen. Die Erprobungszeit endete mit einem positiven Urteil. Es fiel die
Entscheidung zur Abnahme von 160 Omnibussen. Allerdings überließ hier die HHA
der VHH den Vortritt.
1973 begann IKARUS mit der Serienfertigung des Ik 190. Die
Auslieferung der ersten zwanzig Omnibusse erfolgte Mitte 1973. Die
Inbetriebnahme konnte wegen erheblicher Fertigungsmängel aber erst Ende 1973
bzw. Anfang 1974 vorgenommen werden.
Die ersten Serienwagen unterschieden sich vom Probewagen
u.a. durch:
· Änderungen beim
Fahrerarbeitsplatz
· Sitzpolster mit
genarbtem Kunstleder in Rot (wie bei der VHH üblich)
· geänderten
Fußbodenbelag
· geändertes
Auspuff-Endrohr
Die 1975 – 1977 gelieferten Serien erfuhren erneut
kleinere Änderungen – am augenfälligsten die hinten verglasten Fahrzeugecken.
Geblieben war die weiche Federung, so dass die Omnibusse
bei einem Großteil des Fahrpersonals unbeliebt waren. Auch das
Werkstattpersonal hatte regelmäßig seine Schwierigkeiten mit den Fahrzeugen,
weil die Einzelteile von IKARUS doch beachtliche Fertigungstoleranzen aufwiesen
und dadurch ein Teiletausch häufig zu einem Abenteuer wurde. Weiterhin war der
Rostschutz ungenügend. Allerdings traf das damals auf alle Omnibushersteller zu.
Die VHH wiesen die IKARUS-Omnibusse dem
Hauptbetriebshof in Hamburg-Bergedorf zu. Lediglich von der Lieferung 1976
gelangten 30 Ik 190 nach Neumünster, davon wurden 1979 neun Stück gegen 75er
aus Bergedorf ausgetauscht. Der Stadtverkehr Neumünster, den die VHH seit 1957
durchführen, wurde zwischen 1976 und 1983 ausschließlich mit diesem Fahrzeugtyp
betrieben. Unser Bild des Monats erinnert daran. Am 14.04.1981 treffen
sich drei Ik 190am zentralen Umsteigezeitpunkt Großflecken in Neumünster.
Im Vordergrund VHH 7610 und 7614, im Hintergrund ein 75er
Ikarus mit Hamburger Zulassung.
Insbesondere durch die unzureichende Fertigungsqualität und
Ersatzteilprobleme vergab sich IKARUS in den 70er Jahren die Möglichkeit, im
westeuropäischen Markt Fuß zu fassen. Die Beschaffung von weiteren Ik 190 durch
bundesdeutsche Verkehrsunternehmen unterblieb. Der Versuch, den
Standardlinienbus Ik 190 weltweit anzubieten, scheiterte.Lediglich nach
Mexiko-City gelangte noch eine größere Anzahl. Im Ostblock wurde die überkommende
Konstruktion mit Unterflurmotor von IKARUS – auch wegen fehlender Alternativen
aus Devisenmangel – weiterhin flächendeckend eingesetzt.
Bis 1986 waren bei der VHH alle 154 IKARUS-Busse ausgemustert.
Eigentlich sollte der letztgebaute Wagen 7748, der noch bis Ende 1989 als
Fahrschulwagen im Einsatz war, museal erhalten werden, auch die Rückholung der
passenden Bestuhlung aus Hoya war schon eingeleitet. Allerdings wurde Anfang
1990 kurzfristig und überraschend die Verschrottung auf dem Betriebshof in
Bergedorf vorgenommen. So gelang es der VHH erst später den Wagen 7345 aus der
ersten Serienlieferung von einem Schrottplatz in ihren Bestand zurückzuholen.
Allerdings bedarf dieser Wagen noch einer aufwendigen Restaurierung. Die durch die VHH begonnenen Instandsetzungsarbeiten, die einem Neubau gleich kommen, wurden aufgrund geänderter Rahmenbedingungen zwischenzeitlich abgebrochen. Um eine drohende Verschrottung zu vermeiden, übernahm der HOV diesen Bus im „skelettierten“Zustand der Aufarbeitung in seinen Bestand. Die Chance, den Bus eines Tages fertigzustellen und so die Erinnerung an dieses besondere Kapitel Hamburger Nahverkehrsgeschichte wachzuhalten, bleibt somit erhalten.
Text: Lutz Achilles, HOV