Mit der Straßenbahn schaffnerlos auf der Linie 18 unterwegs
Die grundlegende Instandsetzung des Hamburger
Straßenbahnbeiwagens 4384 (Typ V7BE) wird in diesem Jahr voraussichtlich
beendet. Instandsetzung einer Hamburger Straßenbahn? Ja, aber leider nicht in
Hamburg, wo die Hamburger immer noch auf die Inbetriebnahme einer
leistungsfähigen Stadtbahn im Oberflächenverkehr warten müssen. Um diesen
Straßenbahnwagen im Fahrbetrieb erleben zu können, müssen Interessierte nach
Dänemark in das Dänische Straßenbahnmuseum nach Skjoldenæsholm fahren. Aber
lassen Sie uns erst einmal in die betriebliche Vergangenheit dieses Beiwagens
zurückblicken, weil hiermit zugleich ein Stück vergessener
HOCHBAHN-Verkehrsgeschichte, die 50 Jahre zurückliegt, in Erinnerung gerufen
werden kann.
Heute wie
gestern sind die Verantwortlichen der HOCHBAHN bestrebt, den Betrieb effizient
durchzuführen. Neben das Ziel der Wirtschaftlichkeit – die HOCHBAHN erzielte in
den 1960er-Jahren noch Gewinne! – trat um 1963 der Arbeitskräftemangel aufgrund
der in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Vollbeschäftigung. Der betraf
viele bundesdeutsche Unternehmen, so auch die HOCHBAHN. Der Zustrom von
Arbeitskräften aus der DDR war 1961 nach dem
Mauerbau und der mittlerweile stark gesicherten innerdeutschen Grenze
nahezu versiegt, die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem europäischen Ausland
hatte gerade erst begonnen. Bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung bei
anderen Hamburger Unternehmen führten bei der HOCHBAHN zur Abwanderung von
Mitarbeitern und verschärften die Situation im Betriebsdienst. Auch wenn Frauen
– wieder – verstärkt als Arbeitskräfte umworben wurden, bestand der Zwang zu
rationalisieren, um so den Betrieb mit weniger Personal durchführen zu können – und das ohne Leistungseinbußen.
Die
Hamburger Straßenbahn, damals noch – trotz der politischen Vorgabe, das
umfangreiche Streckennetz abzubauen – mit der größte Leistungsträger im ÖPNV
der Millionenstadt, versprach hier Einsparungspotenzial. Der Betrieb der damals
das Betriebsgeschehen bestimmenden V6- und V7-Züge (Triebwagen mit Beiwagen)
erlaubte je Zug die Beförderung von bis zu 218 Fahrgästen, allerdings mit drei
Mann Personal, einem Fahrer und zwei Schaffnern. Wie auch bei
Straßenbahnbetrieben in Westdeutschland, aber auch in der DDR, die alle unter
Arbeitskräftemangel litten, lag es nahe, „ohne Schaffner“ zu fahren. Viele
Nutzer der HOCHBAHN-Verkehrsmittel (den HVV gab es zu dieser Zeit noch nicht)
verfügten bereits über eine Zeitkarte, wenn auch noch nicht in dem heute
bekannten Geltungsumfang. Der Fahrkartenverkauf aus Automaten befand sich
damals bei der U-Bahn in der Erprobung, war technisch noch nicht allzu
ausgereift und erforderte Stellflächen (je Automat nur eine Preisstufe!), die
es bei der Straßenbahn nicht gab. Fahrkartenautomaten in der Straßenbahn als
Massenverkehrsmittel schieden zunächst aus. Es mussten also andere Wege
beschritten werden.
Die
HOCHBAHN entschied sich, zu Erprobungszwecken einen V7-Zug umzurüsten und
hierfür einen Beiwagen für den schaffnerlosen Betrieb für
Sichtkarten-(Zeitkarten-)inhaber herzurichten. Die Wahl fiel auf den
V7-Triebwagen 3225 (LHB, Baujahr 1953) und den V7-Beiwagen 4434 (O&K,
Baujahr 1957, dem heutigen 4384). Mit unserem Bild des Monats erinnern wir an
diese damals für Hamburg besondere Betriebsform. Es zeigt den Straßenbahnzug 1964 bei einem Pressetermin im Betriebshof Krohnskamp (Winterhude).
Der
in Hamburg seit Jahren bei der Straßenbahn bekannte Fahrgastfluss (damals
Einstieg hinten) blieb erhalten. Beim normalen Beiwagen öffnete der Schaffner
dem Fahrgast die Tür. Beim V7B 4434 musste deswegen am Türpfosten der hinteren
doppelten Einstiegstür außen ein Druckknopf mit einem beleuchteten Transparent
zum Öffnen angebracht werden. Das war äußerlich, neben Hinweisen „nur für
Sichtkarteninhaber“ die markanteste Veränderung. Im Innenraum blieb der
Schaffnerplatz verwaist und bei schaffnerlosem Betrieb mit dem Wintervorhang
gesperrt. Im Innenraum fanden sich für aussteigende Fahrgäste an den
Ausstiegstüren Leuchttransparentkästen mit einem Druckknopf. Alle Trittbretter
erhielten Trittstufenkontakte, die zum automatischen Schließen der Türen nach 4
Sekunden ohne Belastung führten. Der Triebwagen wurde weiter mit zwei Personen
betrieben, dem Schaffner verblieb dort sein Sitzplatz am hinteren Einstieg. Der
Triebwagenschaffner war auch für die korrekte Beschilderung des Beiwagens, die
Heizung und das Einschalten der Innenraumbeleuchtung zuständig. Der Fahrer
hatte die Türfreigabe im Beiwagen zu überwachen. Der Beiwagen erhielt eine
Abreißbremse, Änderungen an den elektrischen Kupplungen führten dazu, dass der
3225 nur mit dem 4434 kuppeln durfte. Die Abdeckplatte der elektrischen
Kupplung erhielt deswegen einen gelben Anstrich. Äußerlich wurde an der Front
links neben der Liniennummer eine Eule als Erkennungssymbol gesteckt, um darauf
hinzuweisen, dass der Beiwagen schaffnerlos und nur für Fahrgäste mit
Sichtkarte zu betreten ist – vgl. a. Dienstanweisung Sv 64/17.
Betriebsbilder zeigen am Zug aber ein stilisiertes Auge. Der Zug trug trotzdem
die interne Bezeichnung „Eulenzug“.
Dieser
Versuchszug wurde im Betriebshof Lokstedt beheimatet und von dort ab dem
20.05.1964 auf der Linie 18 zwischen Groß Borstel und Hauptbahnhof/ZOB
eingesetzt. Die Linie 18 war allerdings eine Linie mit hohem Anteil an
Barzahlern und damit für diesen Probebetrieb nur bedingt geeignet. Ergebnis
war, dass der Beiwagen außerhalb der Hauptverkehrszeiten nahezu leer war. Der
Probebetrieb endete schon im Januar 1965. Gleichzeitig fiel die Entscheidung,
sämtliche V7-Triebwagen für den Betrieb ohne Triebwagenschaffner umzubauen. Die
HOCHBAHN erwartete so das größte Einsparpotential, auch weil immer öfter der
Linienbetrieb ohne Beiwagen durchgeführt wurde. Der breite Einstieg war hierfür
von hinten nach vorne zu verlegen und der Fahrgastfluss umzudrehen. Künftig
mussten die Fahrgäste vorne einsteigen und beim Fahrer bezahlen. Am 01.02.1965
nahmen die ersten so umgebauten V7-Triebwagen 3335 und 3529 als „V7E“ ihren
Betrieb – wieder auf der Linie 18 - auf. Der Triebwagenschaffner konnte so
eingespart werden, auf den Beiwagen verblieb er aber bis zur Aufgabe des
Beiwagenbetriebs im März 1976. Der aufwändigere Umbau der V6-Triebwagen auf
Einmannbetrieb folgte 1966 bis 1969. Verbesserte Fahrkartenautomatentechnik
hätte später auch einen schaffnerlosen Beiwagenbetrieb erlaubt. Damit hätte
beim Vergleich „Personaleinsatz zu befördertem Fahrgast“ die Straßenbahn ihre
Überlegenheit gegenüber dem Busbetrieb zeigen können. Das gilt noch heute für
moderne Straßenbahnen, auch im Vergleich zu Doppelgelenkbussen.
Mit
der Aufgabe des Beiwagenbetriebs in Hamburg am 05.03.1976 schied der Beiwagen
4434, am 25.11.1965 im Zuge des Umbaus der V7-Triebwagen in „4384“ umgezeichnet
und als V7BE geführt, aus dem aktiven Betriebsdienst aus. Mit Ende des
Probebetriebs verlor er das beleuchtete Transparent im Einstiegsbereich, durch
ein aufgesetztes Blech im Türpfosten ist dieser entfernte Einbau bis heute noch
zu erkennen. Der VVM übernahm den Beiwagen 4391 in seine Museumssammlung, der 4384 ging an das Deutsche Straßenbahnmuseum in Wehmingen bei Hannover. Die übrigen
zehn verbliebenen Beiwagen wurden im Sommer 1976 im Betriebshof Lokstedt
verschrottet. Wie das Foto vom 06.09.1980
zeigt, war der Beiwagen schon nach vier Jahren Freiaufstellung von der
Witterung stark gezeichnet. Dank seines Aluminiumaufbaus überstand der
Wagenkasten die jahrzehntelange Aufstellung im Freien – im Vergleich zu
Straßenbahnen mit Stahlaufbau – noch relativ gut. Der Zustand des davor im Bild
links zu erkennenden Triebwagens V7E
3363 (LHB, Baujahr 1957) war als Stahlwagen schon 1980 deutlich schlechter.
Deswegen war noch 2005 die Übernahme des Beiwagens durch das dänische
Straßenbahnmuseum möglich.
Das
Museum wurde am 08.02.1965 gegründet - zu dieser Zeit lehnte gerade der
Hamburger Senat es ab, die seit 1961 stillliegende Strecke der
Walddörferstraßenbahn U Ohlstedt – Wohldorf in die erste
Museumsstraßenbahnstrecke Westdeutschlands umzuwandeln. Damit war das
Engagement Hamburger Nahverkehrsfreunde gescheitert und es zeigte sich, wie
schwer es in Hamburg ist, die interessante Hamburger Verkehrsgeschichte durch
Erhalt von Originalexponaten abzubilden und den Museumsgedanken zu verfestigen.
Was trotzdem bis heute erhalten werden konnte, ist allein auf die Initiative
von Privatpersonen und ihrem großen finanziellen Engagement zurückzufügen.
Anders in Dänemark mit dem Dänischen Straßenbahnmuseum mit heute rund 1.200
Mitgliedern. Dort gelang es, seit 1965 über 100 Straßenbahnen, O-Busse und
Busse – einige als Ersatzteilspender - zu erwerben, um so mit Schwerpunkt
Dänemark die vielfältige Nahverkehrsgeschichte darzustellen. 1978 konnte das
Museum in Skjoldenæsholm eröffnet werden, in Hamburg wurde in diesem Jahr die
Straßenbahn eingestellt. Unter den Mitgliedern finden sich auch deutsche
Verkehrsfreunde, das erklärt auch, warum Straßenbahnen aus Norddeutschland
(Flensburg, Hamburg und Rostock) in Skjoldenæsholm zu finden sind. Das Museum
verfügt über mehrere Ausstellungshallen, eine eigene Werkstatt und eine
Straßenbahnstrecke, die regelmäßig verlängert wird. Aus Mitteln des Vereins,
aber auch finanziert durch Mitglieder, werden einzelne Fahrzeugaufarbeitungen
durch Fremdfirmen ausgeführt. Hier hat sich die Hauptwerkstatt der Geraer
Verkehrsbetriebe einen guten Ruf erarbeitet. Der V7BE 4384 wurde dort zwischen
2012 und 2013 vorbildlich aufgearbeitet, wie die beiden Fotos aus Gera (2013)zeigen. Die Aussparung im
Türpfosten der Heckeinstiegstür blieb erhalten.
Auch wenn in 2014 durch die ehrenamtlichen Mitarbeiter noch einzelne Restarbeiten am Beiwagen durchzuführen sind, lohnt für Hamburger in diesem Jahr trotzdem ein Tagesausflug nach Skjoldenæsholm. Dort sind aus Hamburg neben diesem Beiwagen noch der V6E 3657 (Falkenried, Baujahr 1952), der PCC-Triebwagen 3060 (La Brugeoise, Baujahr 1951 - Dauerleihgabe VVM) und der ehemalige Salz-Bw 4994 (Baujahr 1928) anzutreffen, neben vielen anderen Straßenbahnwagen aus Dänemark, die gerne durch freundliche und sehr engagierte Vereinsmitglieder gezeigt werden. Natürlich empfiehlt sich auch immer ein Besuch beim VVM am Schönberger Strand, auch dort gibt es eine eigene Straßenbahnstrecke.
Text: Lutz Achilles / HOV