Bild des Monats April 2014

 

 

Mit der Straßenbahn schaffnerlos auf der Linie 18 unterwegs

 

Die grundlegende Instandsetzung des Hamburger Straßenbahnbeiwagens 4384 (Typ V7BE) wird in diesem Jahr voraussichtlich beendet. Instandsetzung einer Hamburger Straßenbahn? Ja, aber leider nicht in Hamburg, wo die Hamburger immer noch auf die Inbetriebnahme einer leistungsfähigen Stadtbahn im Oberflächenverkehr warten müssen. Um diesen Straßenbahnwagen im Fahrbetrieb erleben zu können, müssen Interessierte nach Dänemark in das Dänische Straßenbahnmuseum nach Skjoldenæsholm fahren. Aber lassen Sie uns erst einmal in die betriebliche Vergangenheit dieses Beiwagens zurückblicken, weil hiermit zugleich ein Stück vergessener HOCHBAHN-Verkehrsgeschichte, die 50 Jahre zurückliegt, in Erinnerung gerufen werden kann.

 

Heute wie gestern sind die Verantwortlichen der HOCHBAHN bestrebt, den Betrieb effizient durchzuführen. Neben das Ziel der Wirtschaftlichkeit – die HOCHBAHN erzielte in den 1960er-Jahren noch Gewinne! – trat um 1963 der Arbeitskräftemangel aufgrund der in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Vollbeschäftigung. Der betraf viele bundesdeutsche Unternehmen, so auch die HOCHBAHN. Der Zustrom von Arbeitskräften aus der DDR war 1961 nach dem  Mauerbau und der mittlerweile stark gesicherten innerdeutschen Grenze nahezu versiegt, die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem europäischen Ausland hatte gerade erst begonnen. Bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung bei anderen Hamburger Unternehmen führten bei der HOCHBAHN zur Abwanderung von Mitarbeitern und verschärften die Situation im Betriebsdienst. Auch wenn Frauen – wieder – verstärkt als Arbeitskräfte umworben wurden, bestand der Zwang zu rationalisieren, um so den Betrieb mit weniger Personal durchführen zu  können – und das ohne Leistungseinbußen.

 

Die Hamburger Straßenbahn, damals noch – trotz der politischen Vorgabe, das umfangreiche Streckennetz abzubauen – mit der größte Leistungsträger im ÖPNV der Millionenstadt, versprach hier Einsparungspotenzial. Der Betrieb der damals das Betriebsgeschehen bestimmenden V6- und V7-Züge (Triebwagen mit Beiwagen) erlaubte je Zug die Beförderung von bis zu 218 Fahrgästen, allerdings mit drei Mann Personal, einem Fahrer und zwei Schaffnern. Wie auch bei Straßenbahnbetrieben in Westdeutschland, aber auch in der DDR, die alle unter Arbeitskräftemangel litten, lag es nahe, „ohne Schaffner“ zu fahren. Viele Nutzer der HOCHBAHN-Verkehrsmittel (den HVV gab es zu dieser Zeit noch nicht) verfügten bereits über eine Zeitkarte, wenn auch noch nicht in dem heute bekannten Geltungsumfang. Der Fahrkartenverkauf aus Automaten befand sich damals bei der U-Bahn in der Erprobung, war technisch noch nicht allzu ausgereift und erforderte Stellflächen (je Automat nur eine Preisstufe!), die es bei der Straßenbahn nicht gab. Fahrkartenautomaten in der Straßenbahn als Massenverkehrsmittel schieden zunächst aus. Es mussten also andere Wege beschritten werden.

 

Die HOCHBAHN entschied sich, zu Erprobungszwecken einen V7-Zug umzurüsten und hierfür einen Beiwagen für den schaffnerlosen Betrieb für Sichtkarten-(Zeitkarten-)inhaber herzurichten. Die Wahl fiel auf den V7-Triebwagen 3225 (LHB, Baujahr 1953) und den V7-Beiwagen 4434 (O&K, Baujahr 1957, dem heutigen 4384). Mit unserem Bild des Monats erinnern wir an diese damals für Hamburg besondere Betriebsform. Es zeigt den Straßenbahnzug 1964 bei einem Pressetermin im Betriebshof Krohnskamp (Winterhude).

 

 

 

 

 

Der in Hamburg seit Jahren bei der Straßenbahn bekannte Fahrgastfluss (damals Einstieg hinten) blieb erhalten. Beim normalen Beiwagen öffnete der Schaffner dem Fahrgast die Tür. Beim V7B 4434 musste deswegen am Türpfosten der hinteren doppelten Einstiegstür außen ein Druckknopf mit einem beleuchteten Transparent zum Öffnen angebracht werden. Das war äußerlich, neben Hinweisen „nur für Sichtkarteninhaber“ die markanteste Veränderung. Im Innenraum blieb der Schaffnerplatz verwaist und bei schaffnerlosem Betrieb mit dem Wintervorhang gesperrt. Im Innenraum fanden sich für aussteigende Fahrgäste an den Ausstiegstüren Leuchttransparentkästen mit einem Druckknopf. Alle Trittbretter erhielten Trittstufenkontakte, die zum automatischen Schließen der Türen nach 4 Sekunden ohne Belastung führten. Der Triebwagen wurde weiter mit zwei Personen betrieben, dem Schaffner verblieb dort sein Sitzplatz am hinteren Einstieg. Der Triebwagenschaffner war auch für die korrekte Beschilderung des Beiwagens, die Heizung und das Einschalten der Innenraumbeleuchtung zuständig. Der Fahrer hatte die Türfreigabe im Beiwagen zu überwachen. Der Beiwagen erhielt eine Abreißbremse, Änderungen an den elektrischen Kupplungen führten dazu, dass der 3225 nur mit dem 4434 kuppeln durfte. Die Abdeckplatte der elektrischen Kupplung erhielt deswegen einen gelben Anstrich. Äußerlich wurde an der Front links neben der Liniennummer eine Eule als Erkennungssymbol gesteckt, um darauf hinzuweisen, dass der Beiwagen schaffnerlos und nur für Fahrgäste mit Sichtkarte zu betreten ist – vgl. a. Dienstanweisung Sv 64/17. Betriebsbilder zeigen am Zug aber ein stilisiertes Auge. Der Zug trug trotzdem die interne Bezeichnung „Eulenzug“.

 

Dieser Versuchszug wurde im Betriebshof Lokstedt beheimatet und von dort ab dem 20.05.1964 auf der Linie 18 zwischen Groß Borstel und Hauptbahnhof/ZOB eingesetzt. Die Linie 18 war allerdings eine Linie mit hohem Anteil an Barzahlern und damit für diesen Probebetrieb nur bedingt geeignet. Ergebnis war, dass der Beiwagen außerhalb der Hauptverkehrszeiten nahezu leer war. Der Probebetrieb endete schon im Januar 1965. Gleichzeitig fiel die Entscheidung, sämtliche V7-Triebwagen für den Betrieb ohne Triebwagenschaffner umzubauen. Die HOCHBAHN erwartete so das größte Einsparpotential, auch weil immer öfter der Linienbetrieb ohne Beiwagen durchgeführt wurde. Der breite Einstieg war hierfür von hinten nach vorne zu verlegen und der Fahrgastfluss umzudrehen. Künftig mussten die Fahrgäste vorne einsteigen und beim Fahrer bezahlen. Am 01.02.1965 nahmen die ersten so umgebauten V7-Triebwagen 3335 und 3529 als „V7E“ ihren Betrieb – wieder auf der Linie 18 - auf. Der Triebwagenschaffner konnte so eingespart werden, auf den Beiwagen verblieb er aber bis zur Aufgabe des Beiwagenbetriebs im März 1976. Der aufwändigere Umbau der V6-Triebwagen auf Einmannbetrieb folgte 1966 bis 1969. Verbesserte Fahrkartenautomatentechnik hätte später auch einen schaffnerlosen Beiwagenbetrieb erlaubt. Damit hätte beim Vergleich „Personaleinsatz zu befördertem Fahrgast“ die Straßenbahn ihre Überlegenheit gegenüber dem Busbetrieb zeigen können. Das gilt noch heute für moderne Straßenbahnen, auch im Vergleich zu Doppelgelenkbussen.

 

Mit der Aufgabe des Beiwagenbetriebs in Hamburg am 05.03.1976 schied der Beiwagen 4434, am 25.11.1965 im Zuge des Umbaus der V7-Triebwagen in „4384“ umgezeichnet und als V7BE geführt, aus dem aktiven Betriebsdienst aus. Mit Ende des Probebetriebs verlor er das beleuchtete Transparent im Einstiegsbereich, durch ein aufgesetztes Blech im Türpfosten ist dieser entfernte Einbau bis heute noch zu erkennen. Der VVM übernahm den Beiwagen 4391 in seine Museumssammlung, der 4384 ging an das Deutsche Straßenbahnmuseum in Wehmingen bei Hannover. Die übrigen zehn verbliebenen Beiwagen wurden im Sommer 1976 im Betriebshof Lokstedt verschrottet. Wie das Foto vom 06.09.1980 zeigt, war der Beiwagen schon nach vier Jahren Freiaufstellung von der Witterung stark gezeichnet. Dank seines Aluminiumaufbaus überstand der Wagenkasten die jahrzehntelange Aufstellung im Freien – im Vergleich zu Straßenbahnen mit Stahlaufbau – noch relativ gut. Der Zustand des davor im Bild links zu erkennenden Triebwagens V7E 3363 (LHB, Baujahr 1957) war als Stahlwagen schon 1980 deutlich schlechter. Deswegen war noch 2005 die Übernahme des Beiwagens durch das dänische Straßenbahnmuseum möglich.

 

 

Das Museum wurde am 08.02.1965 gegründet - zu dieser Zeit lehnte gerade der Hamburger Senat es ab, die seit 1961 stillliegende Strecke der Walddörferstraßenbahn U Ohlstedt – Wohldorf in die erste Museumsstraßenbahnstrecke Westdeutschlands umzuwandeln. Damit war das Engagement Hamburger Nahverkehrsfreunde gescheitert und es zeigte sich, wie schwer es in Hamburg ist, die interessante Hamburger Verkehrsgeschichte durch Erhalt von Originalexponaten abzubilden und den Museumsgedanken zu verfestigen. Was trotzdem bis heute erhalten werden konnte, ist allein auf die Initiative von Privatpersonen und ihrem großen finanziellen Engagement zurückzufügen. Anders in Dänemark mit dem Dänischen Straßenbahnmuseum mit heute rund 1.200 Mitgliedern. Dort gelang es, seit 1965 über 100 Straßenbahnen, O-Busse und Busse – einige als Ersatzteilspender - zu erwerben, um so mit Schwerpunkt Dänemark die vielfältige Nahverkehrsgeschichte darzustellen. 1978 konnte das Museum in Skjoldenæsholm eröffnet werden, in Hamburg wurde in diesem Jahr die Straßenbahn eingestellt. Unter den Mitgliedern finden sich auch deutsche Verkehrsfreunde, das erklärt auch, warum Straßenbahnen aus Norddeutschland (Flensburg, Hamburg und Rostock) in Skjoldenæsholm zu finden sind. Das Museum verfügt über mehrere Ausstellungshallen, eine eigene Werkstatt und eine Straßenbahnstrecke, die regelmäßig verlängert wird. Aus Mitteln des Vereins, aber auch finanziert durch Mitglieder, werden einzelne Fahrzeugaufarbeitungen durch Fremdfirmen ausgeführt. Hier hat sich die Hauptwerkstatt der Geraer Verkehrsbetriebe einen guten Ruf erarbeitet. Der V7BE 4384 wurde dort zwischen 2012 und 2013 vorbildlich aufgearbeitet, wie die beiden Fotos aus Gera (2013)zeigen. Die Aussparung im Türpfosten der Heckeinstiegstür blieb erhalten.

 

 

 

Auch wenn in 2014 durch die ehrenamtlichen Mitarbeiter noch einzelne Restarbeiten am Beiwagen durchzuführen sind, lohnt für Hamburger in diesem Jahr trotzdem ein Tagesausflug nach Skjoldenæsholm. Dort sind aus Hamburg neben diesem Beiwagen noch der V6E 3657 (Falkenried, Baujahr 1952), der PCC-Triebwagen 3060 (La Brugeoise, Baujahr 1951 - Dauerleihgabe VVM) und der ehemalige Salz-Bw 4994 (Baujahr 1928) anzutreffen, neben vielen anderen Straßenbahnwagen aus Dänemark, die gerne durch freundliche und sehr engagierte Vereinsmitglieder gezeigt werden. Natürlich empfiehlt sich auch immer ein Besuch beim VVM am Schönberger Strand, auch dort gibt es eine eigene Straßenbahnstrecke.

Text: Lutz Achilles / HOV


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