Bild des Monats Juni
2014
Rückkehr eines historischen Alsterdampfers
Wie
bereits in früheren Beiträgen zum „Bild des Monats“ dargestellt, kann der
Öffentliche Personen-Nahverkehr (ÖPNV) in Hamburg auf eine lange und vielfältige
Geschichte zurückblicken. Die Anfänge gehen auf das Jahr 1839 zurück, so dass
die Hamburger 2014 seit 175 Jahren den ÖPNV nutzen können. Auf Initiative des
umtriebigen (mittlerweile leider verstorbenen) Erich Staisch feierte der HVV
mit Unterstützung der Verbundpartner 1989 das 150-jährige Jubiläum u. a. mit
einem großen Fahrzeugkorso durch die Hamburger Innenstadt. Auch der HOV war an
dieser Veranstaltung am 07.10.1989 beteiligt. Für dieses Jahr sind Planungen zu
vergleichbaren Aktivitäten nicht bekannt. Es ist zu befürchten, dass in Hamburg
dieses Jubiläum für die Öffentlichkeit unbemerkt vorübergehen wird, und damit
die Chance, für die Belange des ÖPNV in Hamburg wirksam zu werben. Auch wenn in
Hamburg die Fahrgastzahlen steigen, verspüren die Nutzer der HVV-Busse
tagtäglich, dass der weiter unregulierte Individualverkehr sie an einem
ungestörten Fortkommen hindert und es Veränderungen bedarf.
Dass
es in Hamburg gelungen ist, einzelne Hamburger „Beförderungsmittel“ vor der
Verschrottung zu bewahren und die Geschichte der verschiedenen Verkehrsträger
in Wort und Bild darzustellen, ist allein auf die Initiative und das
finanzielle Engagement von Privatpersonen zurückzuführen. So auch bei der 1859
beginnenden Geschichte der Linienschifffahrt. Auch wenn Hamburg sich mit seiner
Alster und insbesondere mit der Außenalster glücklich schätzen kann, hat sie
aus verkehrlicher Sicht etwas Trennendes. Die Linienschiffe auf der Alster und
ihren Seitenarmen sorgten über viele Jahrzehnte für Mobilität der Bürger. Aber
die Konkurrenz „auf dem Lande“ mit Pferdebahn und später Straßenbahn und
insbesondere der 1912 eröffneten Hochbahn mit deren Ringstrecke läuteten vor
gut 100 Jahren den allmählichen Niedergang der Linienschifffahrt auf der Alster
ein. Bis zum Ende der Saison 1983 konnte man noch mit einer HVV-Fahrkarte auf
drei Schiffslinien über die Alster fahren. Da es für jeden Hamburger undenkbar
ist, keine Alsterschiffe mehr fahren zu sehen, gelang es der 1977 gegründeten
HOCHBAHN-Tochter Alster-Touristik GmbH (ATG), zusammen mit Sponsoren, die
„Weiße Flotte“ bis heute in Fahrt zu halten, nun aber ausschließlich für den
Freizeit- und Touristikverkehr.
Der
Gedanke, Alsterschiffe museal zu erhalten und wieder in Fahrt zu bringen, ging
auf die Initiative einzelner Nahverkehrsfreunde zurück. Bereits 1984 fand sich
dieser Freundeskreis zusammen, um gemeinsam mit der ATG durch Veranstaltungen
an das 125-jährige Jubiläum der Alsterschifffahrt zu erinnern. In der Hoch-Zeit
der Alsterschifffahrt umfasste die Flotte rund 30 Dampfer. Die Geschichte der
Alsterschiffe ist vielfältig, sie wurden umgebaut, durch Neubauten ersetzt,
verschrottet oder nach Außerhalb verkauft.
Nahverkehrsfreunde
sind findig, was das Aufspüren von nach weit außerhalb der Stadtgrenzen verkauften
Exponaten Hamburger Nahverkehrsgeschichte angeht und sie handeln beharrlich. So
auch im Fall des heute wieder in Hamburg verkehrenden Alsterdampfers „St.
Georg“, der Thema dieses Artikels ist. 1876 auf der
Reiherstiegwerft erbaut, fuhr der Alsterdampfer zunächst unter dem Namen
„Falke“ über die Alster, ab 1911 nach dem Umbau zu einem „Glattdecker“ als
„Galatea“. 1936 in „St. Georg“ umgetauft, verkaufte die HOCHBAHN das Schiff
nach Ende des II. Weltkriegs nach Berlin, wo es unter den Namen „Deutschland“
und später „Planet“ noch bis in die 1980er auf der Havel fuhr. Auf den
anstehenden Verkauf des Schiffes aufmerksam geworden, gelang es, mit Hilfe von
Aktiven des Museumhafens Övelgönne das Schiff 1988 zu erwerben und im selben
Jahr nach Hamburg zu überführen. Zusammen mit dem oben erwähnten Freundeskreis
kam es Ende 1988 zur Gründung des „Verein Alsterdampfschiffahrt e.V.“ (VAD) als
Trägerverein, um so die notwendige umfangreiche Instandsetzung dieses
Schiffsveteranen zu ermöglichen. Nach Umsetzung des Schiffes 1989 auf die Werft
„Ökotech“ in Finkenwerder begannen erste Abbrucharbeiten der nicht mehr
originalen Aufbauten. Da keine Baupläne mehr existierten, mussten diese anhand
von Fotos neu erstellt werden. Hier konnte auf die Hilfe von Externen zurückgegriffen
werden. Die politische Wende in der DDR und die Wiedervereinigung waren ein
weiterer glücklicher Umstand. Verfügte doch die für die weiße Flotte der Stadt
Dresden zuständige Werft in Dresden-Laubegast noch über das notwendige
Fachwissen, um ein Schiff aus dem 19. Jahrhundert mit genietetem Rumpf, unter
Verwendung noch vorhandener Alt-Substanz, neu zu erbauen. 1992 gelangten die
Reste der „Planet“ elbaufwärts in einem Schubbehälter in Hamburgs Partnerstadt
Dresden. Nun galt es, die für einen Aufbau des Schiffes erforderlichen
Geldmittel zu beschaffen. Die Gewinnung eines Sponsors, Eigenmittel der
Mitglieder und die Beschaffung eines durch selbstschuldnerische Bürgschaften
einzelner Mitglieder abgesicherten Bankdarlehens gelang. Mit der ATG kam es 1993
zu einem Kooperationsvertrag, um später für die „St. Georg“ die Nutzung von
ATG-Infrastruktur und die entgeltliche Personenbeförderung abzusichern. Damit
setzten ATG und VAD eine alte Tradition aus dem Jahre 1860 fort. Damals
schlossen sich die verschiedenen Anbieter von Linienfahrten auf der Alster
zusammen, um so den Fahrgästen ein einheitliches Tarifsystem und einen
aufeinander abgestimmten Fahrplan anzubieten. Bereits 1990 hatte die ATG dem
VAD die 1926 gebaute Barkasse „Aue“ als Leihgabe zur Nutzung überlassen. Nach
überwiegend von Mitgliedern ausgeführten Instandsetzungsarbeiten kam die „Aue“
1991 in Fahrt und sorgte für erste Einnahmen für das Projekt „St. Georg“. 1998,
als die Rückgabe der „Aue“ an die ATG anstand, wurde sie als technisches Denkmal
eingestuft, vor der Verschrottung bewahrt und zum zweiten Museumsschiff auf der
Alster.
Die
Arbeiten in Dresden dauerten bis ins Frühjahr 1994 hinein. Am 06.06.1994
gelangte die „St. Georg“ von der Helling ins (Elb-)Wasser. Am 11.06.1994 folgte
die Inbetriebnahme der 1992 beschafften Dampfmaschine mit Ölfeuerung. Nach der
Werftübergabe am 16.06.1994 begann am 18.06.1994 die Überführungsfahrt der „St.
Georg“ mit eigener Kraft stromabwärts nach Hamburg. Unser Bild des Monats
erinnert an die Rückkehr der „St. Georg“
als Glattdecker nach Hamburg am 30.06.1994.
Am Nachmittag des Tages lag der Dampfer nach Passieren der Schaartorschleuse an einem Anleger mit seinem Kiel bereits wieder
im Alsterwasser. Im Hintergrund ist ein DT2-Zug auf der Linie U3 zu sehen, hinter
der U-Bahnbrücke sind die Konturen des Kaispeichers A zu erkennen. Heute geht
hier der Blick in Richtung Elbphilharmonie.
Bevor
das Ziel Binnenalster und der
Anleger Jungfernstieg erreicht werden konnte, musste noch die Reesendammbrücke
mit ihrer geringen Durchfahrtshöhe passiert werden. Mit Hilfe von Ballasttanks
senkte man den Dampfer ab, um die Brücke unterfahren zu können. Wie die Fotos
zeigen, gelang dieses Manöver mit Schlepperhilfe havariefrei. Mit einer kleinen
Feier am 12.07.1994 begann „das zweite Leben“ der „St. Georg“ auf der Alster.
Seitdem haben in 20 Jahren die „St. Georg“ als ältestes noch im Fahrgastbetrieb
befindliche Dampfschiff Deutschlands und die (meist) ehrenamtlich arbeitenden
Mitglieder des VAD ihre Zuverlässigkeit im Alltagsbetrieb nachgewiesen.
Viele
Hamburger werden sich wundern, warum seit Jahren die „St. Georg“ immer nur den
Anleger Jungfernstieg bedient und nicht die zahlreichen anderen Anleger entlang
der Außenalster und der Alsterarme. Da der VAD mit der „St. Georg“ von der ATG
als Konkurrenz angesehen wird, scheiterten im März 2007 die Verhandlungen zu
einer neuen Kooperationsvereinbarung zwischen den Beteiligten. In der Folge kam
es zu der Kündigung der Mitnutzung aller der ATG gehörenden Anlagen, aber auch
dazu, dass der VAD von der zuständigen Behörde die eigenständige Erlaubnis zur
Beförderung von Personen mit Wasserfahrzeugen erhielt und damit – ungewollt,
aber auch um aus der Not heraus Einnahmen für die Projekte des Vereins zu generieren
- zu einem Konkurrenten der ATG bei der Alsterrundfahrt wurde.
Für
die Hamburger und die Besucher ist diese Entwicklung sehr bedauerlich, bildete
doch die Linienschifffahrt fast 125 Jahre den Schwerpunkt auf der Alster. Und
in Zeiten der durch neue Techniken veränderten Arbeitswelt, vom
Individualverkehr verstopfter und zugeparkter Straßen rund um die Alster und
einer überlasteten MetroBuslinie 6 könnte eine ganzjährig angebotene
Linienschifffahrt zum Verbundtarif mehr als nur eine Überlegung wert sein. Mit
einem „Coffee to go“ und „WLAN“ könnte der Arbeitstag für viele entspannt auf
einem Alsterschiff beginnen. Und mit dem erneuten Aufleben der „Fähre“ würde
die seit langem fehlende Querungsmöglichkeit über die Außenalster wieder
entstehen - das Angebot der Alster-Kreuzfahrt der ATG im Stundentakt während
der Sommersaison ist hier derzeit als unzureichend anzusehen. Der Einsatz
historischer Schiffstechnik, die sich als zuverlässig erwiesen hat, könnte ein
weiterer Pluspunkt sein. Mit den auf den Wiederaufbau wartenden ehemaligen
Alsterdampfern „Nixe“ (Baujahr 1875) und
„Winterhude“ (Baujahr 1879) stände der VAD bereit, um seinen Beitrag hierzu zu
leisten. Zuvor ist aber der Weitblick der politischen Entscheidungsträger
gefordert und die Wiederbelebung des Kooperationsgedankens zwischen ATG und
VAD. Wie bereits erwähnt, stünde diese in einer alten Tradition.
Text: Lutz Achilles / HOV