Bild des Monats August 2014

 

 

Der Erste Weltkrieg und seine Auswirkungen auf den Nahverkehr in Hamburg

 

Seit Monaten wird in der Öffentlichkeit und in den Medien auf vielfältige Art an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs - auch der „Große Krieg“ -und seiner 17 Millionen Opfer erinnert. Die Hintergründe für dieses  schicksalhafte Ereignis, das zu millionenfachem Leid und zur Veränderung der politischen Landkarte Europas und anderen Teilen in der Welt führte und als „Ouvertüre“ für einen noch größeren Konflikt rund 25 Jahre später, dem Zweiten Weltkrieg, gilt, sind in diesen Tagen hinlänglich dargestellt worden und müssen nicht wiederholt werden. In jedem Fall war es eine Niederlage der Diplomatie und von der Fehleinschätzung geleitet, nach ein paar Entscheidungsschlachten sei der Konflikt beendet. Der Erste Weltkrieg war der erste Konflikt mit moderner Kriegstechnik, die hier nun im „praktischen Einsatz“ erprobt und weiter entwickelt werden konnte. Dazu zählten das Maschinengewehr, das mit Bomben bestückte Flugzeug, erste Panzer (Tanks), Geschütze mit großer Feuerkraft, das U-Boot und der Einsatz von Giftgas. Jeweils mit schlimmsten Folgen für die schwächsten Glieder in der Kette, die Soldaten und die Zivilbevölkerung. Bis heute ist die waffentechnische Entwicklung dramatisch vorangeschritten, interessengeleitete Politiker versprechen den Krieg gar „chirurgisch genau“ zu führen und damit die Zivilbevölkerung zu schonen. Sollte das nicht gelingen, entstünden bedauerliche „Kollateralschäden“.Ja, es gibt sogar jüngst Militärführer, die behaupten der moralistischen Armee der Welt vorzustehen. Die hohen Zahlen an unschuldigen Opfern widerlegen bis heute diese zynischenLügen. Aber jeder Krieg kennt auch Gewinner, die am Leid der anderen verdienen. Das ist heute so und war 1914-18 auch nicht anders.

 

Unser Bild des Monatserinnert an die Fehleinschätzung der Verantwortlichen, den Konflikt nach wenigen Monaten siegreich zu beenden, schließlich wollten alle Weihnachten wieder zu Hause sein. Die Ansichtskarte zeigt einen Triebwagen der Linie 24 in der Spaldingstraße vor dem Anckelmannplatz. Das Gebäude mit seiner gerundeten Fassade existiert an dieser Stelle noch heute. Als Fahrtziel wird Horn gezeigt, obwohl zu dieser Zeit bereits Schiffbek (heute Billstedt) der Linienendpunkt war. Die im Mai 1914 eröffnete Teilstrecke stellte für die Straßen-Eisenbahn-Gesellschaft (SEG) die letzte Streckenverlängerung in Friedenszeiten dar. An der Seite wird das Ziel „Paris“ gezeigt, obwohl der Straßenbahnwagen sich in Richtung Osten bewegt. Aber das Hauptziel der Militärs war es damals,den „Erbfeind Frankreich“ schnell zu besiegen und auch Paris zu erobern, was im letzten Krieg 1870/71 nicht gelang. Danach sollte wieder Frieden sein – zu Bedingungen des Siegers. Das deutsche Kaiserreich erklärte deswegen am 1.8.1914 Russland und am 03.08.1914 Frankreichden Krieg. Die Umsetzung des „Schlieffen-Plans“ führte zur  Verletzung der Neutralität von Belgien und der Niederlande und damit zum Kriegseintritt von Großbritannien am 04.08.1914. Der unerwartete Einmarsch von zwei russischen Armeen des Zarenreichs nach Ostpreußen brachte bereits im August 1914 die von der Heeresleitung  gefürchtete zweite Front im Osten des Kaiserreiches.Da der Zar, verwandt mit Kaiser Wilhelm II, bereits am 30.07.1914 die Mobilmachung verkündete, galt er aus deutscher Sicht als Aggressor. Der Spruch auf dieser Ansichtskarte spiegelte damals die Meinung weiter Teile der Bevölkerung wider. Für das mit dem deutschen Kaiserreich verbündete Kaiserreich Österreich-Ungarn gab es eine Abwandlung auf die Serben, deren Garantiemacht Russland war. Interessant an dieser am 27.10.1914 abgestempelten Ansichtskarte ist auch die Bezeichnung „Der Weltkrieg 1914“, hieß der Konflikt doch zunächst „Der Große Krieg“. Allerdings hatten Frankreich und Großbritannien schon nach kurz nach Beginn der Kampfhandlungen die deutschen Kolonien in Übersee angegriffen, so dass aus diesem anfänglich europäischen ein weltweiter Krieg geworden war.

 

Unter Führung des schon pensionierten Paul von Hindenburg und Erich von Ludendorff gelang es im Spätsommer 1914, die russischen Truppen zu schlagen. Obwohl die Entscheidungsschlacht in der Nähe von Ortelsburg stattfand, wurde Hindenburg zum „Helden von Tannenberg“, um so eine Niederlage des Deutschen Ordens gegen die Polen vor 500 Jahren symbolisch zu tilgen. Damit wurde ein Mythos geboren, deren Exponenten später unheilvoll in die Entwicklung der Weimarer Republik und den Aufstieg des Nazireichs einwirkten. Rund 100.000 Russen gerieten damals in Kriegsgefangenschaft, sie wurden völkerrechtswidrig für Arbeiten im Kaiserreich eingesetzt, so auch beim Bau der Walddörferbahn und der Langenhorner Bahn in Hamburg.

 

 

Eine andere Ansichtskarte zeigt ebenfalls ein patriotisches Motiv, den „Eisernen Michel“ auf dem Jungfernstieg, im Hintergrund der Alsterdampfer-Anleger. Um die Solidarität und die Verbundenheit der Heimat mit den Frontsoldaten zu verstärken,wurde die Bevölkerung ab 1915 zu „Nagelungen“ aufgerufen. Hierfür konnten Nägel aus Kupfer, Eisen und Messing erworben werden und in eine Holzfigur oder ein –symbol geschlagen werden. Hamburg tat sich hier mit einer 12 Meter hohen Hindenburg-Statue reichsweit hervor. Die Erlöse aus dieser Aktion dienten der Unterstützung von Familien gefallener Soldaten. Wachsende Kriegsmüdigkeit und die alltäglichen Probleme in der Heimat machten dieser Aktion 1917 ein Ende.

 

Für die SEG mit ihrem ausgedehnten Straßenbahnnetz in den vier Städten Altona, Hamburg, Wandsbek und Harburg brachen schwierige Zeiten an. Die im Jahresbericht 1913 der SEGfür Altona als zukunftsweisend angekündigten neuen Straßenbahnstrecken im Raum Othmarschen und Bahrenfeld konnten mit Ausbruch des Krieges nicht mehr umgesetzt werden. Auch brachen jetzt die Fahrgastzahlen im Vergleich mit den ersten sieben Friedensmonaten 1914 ein. Die Verhandlungen mit Hamburg über die Verlängerung der Konzession für den Straßenbahnverkehr stoppte und vertagte man auf die Zeit nach dem Friedensschluss. Keiner ahnte damals, dass die SEG bis zu diesem Zeitpunkt ihre Selbständigkeit verloren haben  würde. Bereits zu Beginn der Mobilmachung im August 1914 verlor die SEG rund 2.300 Betriebsangestellte, meist ehemalige Militär-Gediente. Davon war ein großer Teil des Lehr- und Aufsichtspersonals betroffen, die Einarbeitung von neuem Personal, wenn es denn gewonnen werden konnte, wurde dadurcherschwert. Die Folge war, dass der Betrieb zunächst eingeschränkt werden musste. Durch Mehrarbeit der verbliebenen Mitarbeiter konnte das Verkehrsangebot zunächst wieder ausgeweitet werden, weitere Einberufungen machten diese Bemühungen aber schnell zunichte. Der Jahresbericht von 1914 vermerkte u.a., dass zehn Pferde vom Militär beschlagnahmt und eine größere Anzahl von Uniformmänteln an das Militär abgegeben wurden. Als im Interesse der Landesverteidigung stehend sah der Vorstand der SEG die Freifahrt von Soldaten in Uniform, sowie des Roten Kreuzes und der Kriegshilfe an. Dazu zählte auch die Unterstützung der Angehörigen der einberufenen ehemaligen Angestellten. Alle Maßnahmen verschlechtertenaber das Jahresergebnis der Gesellschaft.

 

 

Die zur SEG gehörende Wagenbauanstalt Falkenried baute 1914 auf eigene Kosten einen aus Kraftwagen und einem Anhänger bestehenden Zug für die Verwundetenbeförderung. Vom Kriegsgebiet im Westen trafen immer mehr Transporte mit schwer und schwerst Verwundeten am Harburger Bahnhof ein. Das Fahrzeug stand dort für den Weitertransport in die Lazarette bereit. Unser Foto zeigt diesen Zug für 18 liegende und 40 sitzende verwundete Soldaten auf dem Werksgelände in Eppendorf. Den Bau eines zweiten Transportzuges belegt ein anderes Fotodokument.

 

Der Personalmangel dauerte auch 1915 an. Die Arbeiten an den Fahrzeugen und Anlagen wurden auf das für die Betriebssicherheit unbedingt Notwendige beschränkt. Der durch die Seeblockade Großbritanniens völlig unterbundene Überseehandel führte zu einem Personalabbau im Hafen und damit auch zu weniger Berufsverkehr. Auch wenn nicht im Jahresbericht zunächst nicht explizit genannt,übernahmen nun verstärkt Frauen die Aufgaben der vormals männlichen Angestellten im Fahrdienst.

 

 

Unser Foto zeigt 1914einen Straßenbahnzug der Linie 36 am Eimsbütteler Marktplatz „in Frauenhand“. Üblicherweise hatte ein Zwei-Wagenzug drei Personen als Personal. Zum Gruppenbild muss noch weiteres Personal getreten sein. An der Kurbel stand Frau Helma Schröder. Und alle Frauen trugen die beim Personal, unabhängig vom Geschlecht, unbeliebte Mützennummer. Erst im Jahresbericht 1916 findet sich die Notiz, dass der Abgang von männlichen Angestellten „durch weibliche Kräfte, mit denen wir im allgemeinen günstige Erfahrungen gemacht haben“, kompensiert wurde. Die Fahrgastzahlen verzeichneten wieder einen Anstieg.

 

Die im Westen zu einem Stellungs- und Abnutzungskrieg gewordenen Kampfhandlungen erforderten immer mehr neue Waffen und Munition. Das bedeutete für die Heimat die Umstellung der Industrieproduktion auf Kriegsproduktion. Für diese Neuorganisation der deutschen Kriegswirtschaft und Rüstungsproduktion zeichneten von Hindenburg und Ludendorff mit dem „Hindenburg-Programm“ vom 26.08.1916 verantwortlich. Es galt, alle Personal- und Materialreserven hierfür zu gewinnen. Um die Umstellung der Produktion für die Unternehmen zu erleichtern, wurden die Preise freigegeben. Ein Preisschub war die Folge – auch für die SEG bedeutete das erhöhte Beschaffungskosten.

 

1916 zwangen Probleme mit der Stromerzeugung zu Betriebseinschränkungen. Um für das Hamburgische Kriegsversorgungsamt Lebensmitteltransporte durchzuführen, wurde das Straßenbahnnetz in geringem Umfang erweitert, um so Großbäckereien in der Hamburger Straße und der Conventstraße anzuschließen. Die Straßenbahn diente mit dem Gütertransport „dem vaterländischen Interesse“. Die hierfür benötigten Spezialwagen lieferte Falkenried. Trotzdem verschlechterte sich die Versorgungslage der Bevölkerung zusehends. Erste Hungeraufstände folgten. Und der berüchtigte Steckrübenwinter im harten Winter 1916/17 stand der Bevölkerung in der Heimat noch bevor.

 

Die noch junge Hamburger Hochbahn AG (HHA) verlor ebenso wie die SEG rasch nach Kriegsbeginn 62 % der Angestellten und 73 % aus dem Verkehrsdienst an die Armee. Auch die HHA gewährte Unterstützungsleistungen an die Angehörigen der einberufenen Mitarbeiter. Und es  galten Freifahrten für einen vergleichbaren Personenkreis wie bei der SEG. Die Verkehrsentwicklung ist mit derjenigen bei der SEG vergleichbar. Die letzte Zweiglinie vom Grundnetz, die Strecke vom Hauptbahnhof nach Rothenburgsort, konnte am 27.07.1915 in Betrieb genommen werden. Die Arbeiten an der von Hamburg finanzierten Langenhorner Bahn und der Walddörferbahngingen – wie oben dargestellt –mit russischen Kriegsgefangenen weiter.

 

 

Weitere Einberufungen männlicher Mitarbeiter machten „die Einstellung von Frauen und Kriegsbeschädigten in den äußeren Verkehrsdienst erforderlich“, so der Geschäftsbericht von 1915. Das bedeutete für die Frauen auch harte Arbeit in der Streckenunterhaltung. Unser Foto zeigt eine gemischte „Arbeitsrotte“ von Frauen und Männern bei Stopfarbeiten an der neuen Strecke nach Rothenburgsort. Rechts die Gleise der Bahnstrecke nach Bergedorf. Der Geschäftsbericht 1916 gibt an, dass 98 % der männlichen Mitarbeiter im Verkehrsdienst mittlerweile einberufen war. Der Mangel an gelernten Arbeitern führte zu einem Rückstand bei den Unterhaltungsarbeiten am Wagenpark. Die Beschäftigung von Frauen wurde ausgeweitet, u.a. taten sie als Zugfahrerinnen Dienst.

 

Erstmals erschien im Geschäftsbericht 1915 eine Namensliste der Gefallenen.

 

 

 Trotz steigender Fahrgastzahlen sank die Rentabilität des Unternehmens. Die schlechtere Versorgung mit Brennstoffen machte 1917 Betriebseinschränkungen erforderlich. Auf Anregung des Hamburgischen Staatesbegannen 1917 Verhandlungen, um die HHA künftig – bei erweitertem Aufgabengebiet - als „gemischtwirtschaftliches Unternehmen“ zu führen. Hoffnungen der SEG auf eine Verlängerung ihrer Konzessionen (in Selbständigkeit) zerschlugen sich endgültig. Die Verschmelzung der SEG auf die HHA erfolgte rückwirkend zum 01.01.1918. Damit entstand – am Ende des Kriegs – das größte Nahverkehrsunternehmen im Kaiserreich.

 

1918 stellte sich angesichts der Dauer des Konflikts sowie erdrückender Übermacht der Alliierten an Waffen und Soldaten Kriegsmüdigkeit bei den deutschen Soldaten und in der Bevölkerung ein. Auch setzten sich Soldaten vermehrt von der Truppe ab. Hinzu kam 1918 die „Spanische Grippe“, die damals größte Pandemie in Europa mit 35 Millionen an Opfern. Die militärische Niederlage Deutschlands zeichnete sich im Laufe des Jahres 1918 ab. Die Abdankung des Deutschen Kaisers Wilhelm II.und dessen Gang ins Exil führte am 09.11.1918 zur Revolution, der Ausrufung der Republik und zu unruhigen Zeiten – auch für die HHA. Streiks brachten aber eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und die Abschaffung der auch beim HHA-Personal ungeliebten Mützennummer. Auch wenn in den Jahren nach Kriegsende wieder weniger Frauen einem Beruf nachgingen, war ein Ergebnis der Demokratisierung in Deutschland das Wahlrecht für Frauen und deren verfassungsmäßige Gleichstellung.

 

Text: Lutz Achilles / HOV


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