Bild des Monats November 2014

 

 

Arbeitskräftewerbung für Berlin in Hamburg

 

Die Erinnerung an die friedliche Revolution von weiten Teilen der DDR-Bürger 1989 ist für immer fest mit dem Fall der Berliner Mauer und der Öffnung der innerdeutschen Grenze verbunden. Dadurch erlangten die DDR-Bürger die ihnen lange verwehrte unbegrenzte Reisefreiheit. Die Proteste richteten sich gegen den Machtmissbrauch der Verantwortlichen aus DDR-Staatsführung und SED, zunächst noch verbunden mit Wunsch nach grundlegenden Reformen, um so die DDR als Gegenentwurf zur Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik erhalten zu können. Im Spätherbst 1989 gewann die Forderung nach einer Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten aber zunehmend an Bedeutung.  

 

Das undatierte Foto eines (West-)Berliner Doppeldeck-Busses vom Typ D2U in Hamburg-Altona mit der Aufschrift „Berlin-Information“ erlaubt nach Meinung des Verfassers dieser Zeilen auch einen anderen Blick auf die Demonstrationen in der DDR, ohne hierbei die Verdienste der Teilnehmer schmälern zu wollen. Ein wenig beachteter und von den DDR-Bürgern sicherlich auch eher unbeabsichtigt herbeigeführter Aspekt der Ereignisse im Herbst 1989 war die Möglichkeit, den Status des Westteils der geteilten ehemaligen Reichshauptstadt Berlin zu verändern. West-Berlin als „Insel im roten Meer“, „die Speerspitze des Kapitalismus“, „Stachel im Fleisch des Ulbricht-Regimes (… der SED-Diktatur)“, „Frontstadt“ – einige Synonyme, wie sie gerne von bürgerlichen Kreisen der Bundesrepublik im Kalten Krieg benutzt wurden – stand unter dem Viermächte-Status der Siegermächte und war offiziell kein Bestandteil der alten Bundesrepublik. Hamburg galt deswegen damals als die größte Stadt West-Deutschlands, was im Verhältnis zur Fläche West-Berlins auch zutreffend war. Ein verfassungsrechtlicher Sonderstatus erlaubte auf vielfältige Art die Anbindung von West-Berlin an die Bundesrepublik. Von den Alliierten garantierte und zwischen den beiden deutschen Staaten später vertraglich abgesicherte Transitwege zur Straße, Schiene, Wasser und Luft sicherten die Versorgung der Millionen-Stadt. Die Deutsche Lufthansa hatte keine Landerechte in West-Berlin, so dass auf einzelnen (subventionierten) Flugverbindungen von und nach West-Berlin ein Monopol für Fluggesellschaften aus den westlichen Siegermächten bestand. Die Transitwege über Land führten durch DDR-Gebiet. Die DDR hatte das Recht, den Transitverkehr zu kontrollieren. Ältere Leser werden sich noch erinnern, dass insbesondere zu Feiertagen die Grenzorgane hiervon ausgiebig Gebrauch machten, oft mit der Folge langer Wartezeiten an den Grenzübergängen und bei den Reisenden verbunden mit dem Gefühl, mal wieder Opfer „schikanöser Handlungen der DDR“ zu sein. Eine Fahrt im Transitverkehr auf der Straße war dadurch zeitlich schwer planbar. Den West-Berlinern wurde so ihr Insel-Dasein immer mal wieder vor Augen geführt.  

 

Ein Grund für den Bau der Berliner Mauer und für die Befestigung der innerdeutschen Grenze war die 1961 andauernde große Anzahl von nach West-Berlin und West-Deutschland fliehenden – oft gut ausgebildeten - DDR-Bürgern, die zunehmend zu Schwierigkeiten in der Versorgung der Bevölkerung  durch die DDR-Wirtschaft führte. Aber die Abriegelung der drei West-Sektoren Berlins hatte gravierende Folgen: Die Altersstruktur von West-Berlin war damals von „Überalterung“ geprägt, so dass der nun unmöglich gewordene Zuzug von (jüngeren) Bürgern aus Ost-Berlin und den DDR-Bezirken die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft zum Handeln zwang. Auch fehlten den Betrieben in West-Berlin, in denen wie in West-Deutschland Vollbeschäftigung herrschte, „über Nacht“ 53.000 Beschäftigte. Hinzukam, dass Arbeit in der Bundesrepublik oft besser bezahlt war. So fanden zunehmend  jüngere West-Berliner ihren Weg gen Westen, je mehr ihnen ihr Insel-Status bewusst wurde. Die Krisen im Kalten Krieg förderten den Exodus. Neben den von der Bundesrepublik West-Berlin auch schon vor dem Mauerbau gewährten Finanzhilfen bedurfte es weitergehender Maßnahmen, um die Abwanderung von Fachkräften zu stoppen und Bundesbürger zu einem Umzug nach West-Berlin zu bewegen. Auch Unternehmen sollten so nach West-Berlin gelockt werden und der Fortzug in das Bundesgebiet unterbunden werden. Auch wenn der oft besungene „Koffer in Berlin“ für einen Besuch in Berlin steht, so musste für einen Umzug in die eingemauerte und geteilte Stadt doch mehr geboten werden. Bis heute bedient sich der Gesetzgeber dann gerne auch des Steuerrechts, um durch ein Regelungswerk - oft verbunden mit unbestimmten Rechtsbegriffen – Vergünstigungen zu schaffen, die aufgrund ihrer Komplexität auch zu einem Einfallstor für Betrug und Steueroptimierung werden. Zwischen 1951 und 1989 betrug die Förderung für West-Berlin umgerechnet 105 Mrd. Euro an Bundeshilfe und in Form von Steuererleichterungen 74 Mrd. Euro. Es gab einen ganzen Kanon an Maßnahmen, um so die Solidarität mit Berlin zu fördern: Vergünstigungen bei der Umsatzsteuer, vergünstigte Abschreibungssätze, Investitionszulage für Investitionen in Berlin (West), Ermäßigung der veranlagten Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Vergünstigungen für Zulagen an Arbeitnehmer.  

 Aber diese Vergünstigungen mussten auch beworben werden. Mit Bussen (und dann noch mit dem Doppeldeckbus als dem Symbol für den (West-)Berliner Busverkehr) gelang es, die Informationen zum „Leben und Arbeiten in West-Berlin“ mobil an die Bundesbürger zu bringen.

 

Nach dem sehr erfolgreichen Versuch 1968, mit einem Konferenzbus der Firma Gaubschat für Berlin zu werben, setzte man ab 1969 verschiedene von der BVG zur Verfügung gestellte Doppeldecker ein, mit denen eine Reihe von Städten im gesamten Bundesgebiet besucht werden konnte. Veranstalter war aber nicht die BVG, sondern der Senator für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Berlin. Um das Angebot auszuweiten wurden 1975 vier von der Firma Gaubschat in Berlin neu gebaute SD 74 (MAN SD 200) für die Arbeitskräftewerbung mit einer vom Berliner Senat vorgegebenen Inneneinrichtung versehen, zusätzlich erhielten die Busse ein von der Serienausführung abweichendes Getriebe, um so höhere Reisegeschwindigkeiten als 60 km/h zu ermöglichen. Zwei Busse bekamen dabei im Oberdeck einen Filmraum. Künftig war es möglich, mit zwei Beratungsteams durch das Bundesgebiet zu reisen. Hierfür standen die Busse 2624 und 2625 (Team I) und 2623 und 2627 (Team II) zur Verfügung. Offizieller Heimatbetriebshof war Lichterfelde. 1977 entfiel der Sondereinsatz vom Bus 2623 und 1978 der vom Bus 2627. Nach ihrem Umbau zum Linienfahrzeug setzte die BVG die beiden Busse ab Dezember 1978 im normalen Linienverkehr ein.

 

 

Die Älteren unter den Lesern werden sich vielleicht noch an die orangefarbenen BVG-Doppeldeckbusse erinnern, die in regelmäßigen Abständen auch im Hamburger Straßenbild auftauchten. Gelegentlich standen diese Busse auch mal auf einem HHA-Betriebshof zu Wartungszwecken. Unser Titelfoto zeigt die BVG-Busse 2624 und 2625 am 30.04.1982 in den Kurzen Mühren in der Nähe des Hauptbahnhofs. Sie tragen die 1981 eingeführte Lackierung in einem kräftigen Orangeton. Am linken Bildrand sieht man noch einen VW-Transporter als Begleitfahrzeug in einem helleren Farbton. Die Besucher konnten sich nicht nur über Arbeitsplatzangebot, sondern auch über Kunst und Kultur in West-Berlin informieren.

 

 

Neben der bereits erwähnten Änderung der Lackierung 1981 wurden die verbliebenen beiden Busse 2624 und 2625 mit gesondert zu beleuchtenden Berlinmotiven in den Scheiben des Oberdecks - und später auch im Unterdeck - versehen. Besonders nachts warben diese Motive sehr intensiv für Berlin, wie das am 18.04.1989 entstandene Foto vom BVG-Bus 2625 am Eingang zur U-Bahnhaltestelle Wandsbek-Markt beweist. Bei Tag waren die Busse von Pkws eingeparkt, im Vordergrund der nach dem Verlust seines Kennzeichens im März 1987  von „2624“ in „2622“ umgezeichnete Bus. Im Frühjahr endete der Einsatz für die Arbeitskräftewerbung.

 

 

Für die Veranstaltung in Wandsbek wurde in der Tagespresse geworben. Wer konnte die bevorstehenden politischen Veränderungen damals erahnen?

 

  

Das eingangs erwähnte Foto ist undatiert und konnte aber mit Hilfe von Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Traditionsbus Berlin zeitlich eingeordnet werden. Das leicht verwackelte Foto zeigt den leider auch noch angeschnittenen D2U BVG 1214, der am 02.03.1957 zugelassen wurde.

 

 

Er steht am Fahrbahnrand der Allee in Hamburg-Altona (heute Max-Brauer-Allee), in der Nähe des Bahnhofs Altona. Im Hintergrund fährt gerade ein V6-Zug der Hamburger Straßenbahn - noch mit Plattformwerbung - in Richtung Bahnhof. Der Bus trägt keine Außenwerbung, seine erste erhielt er im Mai 1957. Auch wirken die Chromteile noch neu, so dass Foto im Frühjahr 1957 aufgenommen sein muss. Bereits damals warben Busse der BVG an besonderen „Berlin-Tagen“ für ein Leben und Arbeiten im westlichen Teil von Berlin. Einzelne Busse gelangten damals sogar nach Italien und Frankreich.  

Mit der Wiedervereinigung und dem Ende der Berlinförderung einige Jahre später endete auch die Solidarität einiger Unternehmer mit Berlin. Denn so manches (auch namhafte) Unternehmen verließ das nun vereinte Berlin und verursachte durch Verlegung des Firmensitzes in andere Bundesländer Steuerausfälle und Arbeitsplatzverluste, was zu neuen, gravierenden Problemen für das Land Berlin führte.

 

Text: Lutz Achilles / HOV


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