Bild des Monats Mai 2015

 

 

Erinnerung an die U-Bahn nach Rothenburgsort

 

2012 feierte die HOCHBAHN „100 Jahre U-Bahnbetrieb“, weil 1912 die Ringstrecke (heute U3) eröffnet wurde. Allerdings bietet die Hamburger U-Bahn weit mehr als nur diesen einen Anlass, um sich des in Teilabschnitten entstandenen großstädtischen Verkehrsmittels zu erinnern. Mit der Ringstrecke war allerdings das zwischen den Gründungsgesellschaftern der Hamburger Hochbahn AG, den Elektrizitätsgesellschaften AEG und Siemens, und der Stadt Hamburg vereinbarte Grundnetz noch nicht vollendet. Es folgten noch drei Zweiglinien, die alle vier Haltestellen aufwiesen: 1913 nach Eimsbüttel, 1914 nach Ohlsdorf und 1915 nach Rothenburgsort. Und erst mit Vollendung der U-Bahn-Strecke von Hauptbahnhof  über die Haltestellen Spaldingstraße, Süderstraße und Brückenstraße nach Rothenburgsort begann die auf 40 Jahre ausgelegte Betriebskonzession zu laufen. Die bereits für 1914 vorgesehene Eröffnung dieser Zweiglinie verzögerte sich kriegsbedingt mehrmals. Zum Stichtag für den Beginn der Konzession wurde der 21.05.1915 gewählt, weil an diesem Tag die Abnahmefahrt, die nur kleinere Mängel aufzeigte, stattfand.  

 

Den regulären Betrieb nahm die HOCHBAHN am 27.07.1915 um 4:54 Uhr auf. Keiner ahnte damals, dass genau 28 Jahre später, mit Betriebsschluss des 27.07.1943, der U-Bahn-Betrieb hier für immer endete.  Mit unserem Bild des Monats erinnern wir an diese - vielfach vergessene - Strecke im Hamburger U-Bahnnetz. Der Ausschnitt aus einer Übersichtskarte von 1928 zeigt den Verlauf der Strecke. Diese verlief - meist aufgeständert – am Rande dicht besiedelter Wohngebiete. Am Hauptbahnhof  bestand bahnsteiggleicher Übergang auf die Ringlinie in Richtung Hafen. Von der Möglichkeit, hier die Züge aus Rothenburgsort auf die Ringlinie übergehen zu lassen, wurde in den ersten Jahren kein Gebrauch gemacht. Große Teile der Wohnbevölkerung hatte ihren Arbeitsplatz im Hafen, so dass die Verbindung eine große Nachfrage erwarten ließ.

 

Tatsächlich erwies sich der anfängliche 10-Minuten-Takt auf dieser Linie von Beginn an als ausreichend. Auch verkehrten zunächst nur 2-Wagenzüge. Die (Seiten-)Bahnsteige mit einer Länge von 67 m hätten auch 4-Wagenzüge erlaubt. Die unzureichende Nachfrage führte dazu, dass die Wagen der vierten Lieferung (Wagen 177 – 180) einen zweiten Fahrerstand erhielten, um so auch Einzelwagen zwischen Hauptbahnhof und Rothenburgsort pendeln lassen zu können. Die Fahrt dauerte je Richtung jeweils sechs Minuten. Die Karte zeigt aber auch, dass mehrere Straßenbahnlinien die Umgebung der U-Bahn-Haltestellen erschlossen und die Endhaltestelle Rothenburgsort, unmittelbar am gleichnamigen Haltepunkt der Staatsbahn liegend, zur Wohnbebauung in Rothenburgsort eine Randlage aufwies. Hier war die durch die engbebauten Straßen fahrende Straßenbahn im Vorteil, das galt auch für die Erreichbarkeit der später bei der Zollvereinsstraße eröffneten Hanseatenhalle, Schauplatz zahlreicher Großveranstaltungen. Die Fahrgastzahlen der U-Bahn blieben bescheiden. Hinzu kam noch die wirtschaftlich schwierige Zeit nach dem Ende des 1. Weltkriegs und der Umstand, dass die Hamburger Straßenbahn über Jahrzehnte die Hauptlast des Verkehrs in der Millionenstadt trug und in diesem Bereich in Konkurrenz zur Hochbahn (U-Bahn) stand, auch wenn beide Verkehrsträger seit 1918 unter dem Dach eines Unternehmens betrieben wurden. Vom 15.09.1923 bis 22.02.1924 ruhte der U-Bahn-Betrieb auf dieser Zweiglinie. Ein Teil der Strecke zwischen Hauptbahnhof und Spaldingstraße nutzte die HOCHBAHN in dieser Zeit zum Abstellen überzähliger Wagen.       

 

 

Von der Zweiglinie nach Rothenburgsort gibt es nur wenige Betriebsbilder. Hier überquert ein typischer 2-Wagenzug den Mittelkanal. Umweltschutz war damals noch kein Thema wie der Fabrikschornstein im Hintergrund zeigt..

  

Den „betrieblichen Höhepunkt“ in der Betriebsabwicklung stellte die Zeit zwischen dem 04.01.1926 und dem 01.06.1929 dar. In dieser Zeit gab es in verschiedenen Ausgestaltungen durchgehende Züge von Rothenburgsort über den westlichen Ring und ab Kellinghusenstraße über die Zweiglinie Ohlsdorf und die Langenhorner Bahn bis nach Ochsenzoll. Aber auch diese Maßnahme brachte keinen nennenswerten Fahrgastzuwachs auf der Strecke nach Rothenburgsort, wie ein Gutachten von Holstein und Dr. Kemmann vom März 1929 nachwies. Trotzdem wurden auch die Haltestellen der Zweiglinie Rothenburgsort um diese Zeit auf die neue einheitliche Bahnsteiglänge von 90 Metern für 6-Wagen-Züge angepasst. In diesem Zusammenhang sei auf das Heft Nr. 26 (ISBN 978 3 923 999 76 7) der Verkehrshistorischen Schriftenreihe des VVM verwiesen. In diesem Heft wird sehr detailliert der Verkehr zwischen  Hammerbrook und Wilhelmsburg beschrieben.

 

 

Wie die übrigen Haltestellen auch verfügte die Haltestelle Rothenburgsort über eine Bahnsteighalle. Hier begegnet ein 2-Wagenzug der HOCHBAHN einem Straßenbahnzug der Linie 21 auf dem Weg nach Barmbe(c)k. Im Hintergrund das Stellwerk für die dreigleisige Abstellanlage. Das „Hamburger Echo“ berichtete 1951 über den Abbruch der Strecke und vermeldete, dass diese Bahnsteighalle auf dem Werksgelände von Krupp in Essen eine neue Verwendung finden sollte.

 

 

Das leider in einer schlechten Qualität erhaltene Foto vom 19.06.1970 zeigt den heute bei der Historischen S-Bahn Hamburg noch vorhandenen Triebzug 470 128 im Haltepunkt Rothenburgsort. Links vom Zug sieht man noch Teile vom Bahndamm der Hochbahn und – so erscheint es – Teile vom Unterbau der ehemaligen Hochbahn-Haltestelle. Wenig später entstand hier ein Bürogebäude mit einem Berufsausbildungszentrum.

 

Baulich und betrieblich wies die Hochbahnstrecke einige Besonderheiten auf. Noch heute zu erkennen ist die Ausfädelung aus der Ringstrecke unmittelbar hinter der Haltestelle Hauptbahnhof. Daran schloss sich die markante 112 m lange Rampe Norderstraße mit einer Neigung von 1:22,6 an. Diese ging über in das als Fachwerk-Bogenbrücke mit einer Spannweite von 49,5 m über die Gleise der Staatsbahn und der Lübeck-Büchener Eisenbahn ausgeführte Bauwerk.

 

Noch vor Vollendung des Hochbahn-Grundnetzes hatten bereits die Bauarbeiten an der  „Walddörferbahn“ und „Langenhorner Bahn“ begonnen, Streckenerweiterungen, die auf Rechnung des Hamburgischen Staates erfolgten. Hierfür waren staatlicherseits auch U-Bahnwagen und ausreichende Unterstellmöglichkeiten zu beschaffen. Aufgrund der Randlage im Netz wurde auf eine Wagenhalle für die Langenhorner Bahn am Endpunkt Ochsenzoll verzichtet. Stattdessen sollte diese im Anschluss an den Endpunkt in Rothenburgsort entstehen. Von Seiten der HOCHBAHN bestanden zu dieser Zeit bereits Planungen im Bereich Rothenburgsort / Billwerder einen Betriebsbahnhof zu bauen. Staat und Gesellschaft einigten sich darauf gemeinsam ein entsprechendes Bauwerk zu errichten. Nach Erweiterungsplanungen entstand schließlich eine 178,77 m lange und 40,26 m breite Wagenhalle für bis zu 108 U-Bahnwagen mit neun Gleisen und Lagerräumen. Die Zuführungsstrecke ab der Haltestelle Rothenburgsort verlief auf einem Bahndamm parallel zur Eisenbahnstrecke Hamburg-Berlin in Richtung Tiefstack und wies eine Länge von ungefähr einem Kilometer auf. Die Inbetriebnahme war am 05.01.1925. Die Überlegung, hier auch einen neuen Standort mit Untersuchungsmöglichkeiten für den Wagenpark zu schaffen, wurde nicht mehr umgesetzt, weil eine zwischenzeitlich neu errichtete Wagenhalle bei der Haltestelle Stadtpark (heute Saarlandstraße) den in unmittelbarer Nähe liegenden Betriebsbahnhof Barmbek mit Hauptwerkstatt ausreichend entlastete. In Rothenburgsort wurden daher nur nachts U-Bahnwagen aus dem Netz untergestellt. 1938 gab man das regelmäßige Unterstellen wieder auf. Zwischen 1937 und Frühjahr 1939 diente die Halle auch für im Straßenbahnbetreib nicht benötigte A5- und A7-Beiwagen. Im 2. Weltkrieg waren in dem Objekt, das über die Billstraße angefahren werden konnte, zeitweise italienische Arbeitskräfte und Kriegsgefangene untergebracht.  

 

Seit 1929 bestand wieder weitgehend der Inselbetrieb Hauptbahnhof – Rothenburgsort, der eine einfache Betriebsabwicklung erlaubte. An den Endpunkten wurden 1930 und 1931 selbsttätige Kehranlagen in Betrieb genommen, die Personal einzusparen halfen.

 

Das „Unternehmen Gomorrha“ führte im Juli 1943 in Hamburg zu schwersten Zerstörungen in weiten Teilen Hamburgs durch Luftangriffe der Royal Air Force und US Air Force. In einer ungewöhnlich heißen Sommernacht begannen am 28.07.1943 um 1 Uhr die verheerenden Luftangriffe auf die dichtbesiedelten Stadtteile Hammerbrook und Rothenburgsort. Auch die U-Bahnstrecke wurde an vielen Stellen beschädigt bzw. zerstört, der Betrieb nicht wieder aufgenommen. 1951 begann der Abbruch der Strecke, weil keine Notwendigkeit für eine Schnellbahn in dieser leeren, vom Bombenkrieg gezeichneten Gegend mehr bestand.

Text: Lutz Achilles / HOV


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