Bild des Monats Juli 2015

 

 

 

Kinderwagennutzung

 

Der Archivzugang von Fotos der ehemaligen Conti-Press, der „Fotoagentur der HHA“, gab die Idee für dieses "Bild des Monats". Die 1963 auf dem Gelände der Hauptwerkstatt / Wagenbauanstalt Falkenried entstandenen Fotos bebildern einen Versuch im Busbetrieb der HOCHBAHN.

 

Im Gegensatz zu heute war damals die Beförderung von Kinderwagen in Bus und Bahn keine täglich praktizierte Selbstverständlichkeit. Der Verfasser dieser Zeilen, ein Kind der frühen 1960er-Jahre, kann sich nicht an eine Fahrt in Hamburg mit Bus oder Bahn erinnern, die er in seinem Kinderwagen zurückgelegt hätte. Ein Grund dürfte sein, dass damals die Nutzung des Kinderwagens eher kleinräumig erfolgte. Hierfür musste nicht zwingend ein öffentliches  Verkehrsmittel genutzt werden. Und wenn doch, so war die Beförderung von Kindern bis zum vierten Lebensjahr – allerdings ohne Kinderwagen – frei. Auch sahen Straßenbahn und Bus zu Beginn der 1960er-Jahre bauartbedingt keine Kinderwagennutzung vor. In Hochflurfahrzeugen war der Zugang mit einem Kinderwagen nur erschwert möglich und dann nur mit Hilfe Dritter. Auch gab es keine Flächen im Fahrzeuginnern, die eine sichere und die übrigen Fahrgäste  nicht behindernde Beförderung erlaubt hätten. Deswegen findet sich in den „Allgemeinen Beförderungsbedingungen“ der HOCHBAHN  von 1964 unter „§ 8 Mitnahme von Sachen“ folgende Regelung:

(4) Kinderwagen werden zur Beförderung nur zugelassen, wenn der Platz nicht für die Personenbeförderung benötigt wird, die Bauart des Fahrzeuges es zulässt und keine Verminderung der Verkehrssicherheit eintritt. Die Entscheidung über die Mitnahme von Kinderwagen liegt beim Fahr- und Aufsichtspersonal.

 

S- und U-Bahn verfügten zu der Zeit über Fahrzeuge, die einen Transport von  Kinderwagen erlaubten. Aber die Bahnsteige waren meist nicht barrierefrei zu erreichen. Sofern ein Kinderwagen befördert werden durfte, musste für diesen eine Kinderfahrkarte – zusätzlich – gelöst werden.  

 

Für den ab 28.08.1963 auf der Stadtbuslinie 62 (U Wandsbek-Markt – Hohenhorst) beginnenden Versuch bestellte die HOCHBAHN zwei neue Magirus-Deutz Saturn II Typ   „Hamburg“ im Anschluss an die vierte Serie (Wagen 7358 und 7359) mit geänderter  Bestuhlunganordnung  und versuchsweise erstmals kleiner Dachrandverglasung (die große Dachrandverglasung der 1962 gelieferten Schnellbusse führte zu einer enormen Aufheizung der Fahrzeuge).

 

Abweichend von der bisher üblichen Bestuhlung (durchgehend Einzelsitze auf der Türseite und Doppelsitze auf der Fahrerseite) fanden sich jetzt gegenüber dem Ausstiegsbereich vier Einzelsitze anstelle von Doppelsitzen. Dafür gab es auf der Türseite hinter dem Einstieg zwei Reihen Doppelsitze statt der bisher üblichen Einzelsitze. Damit entfiel im Einstiegsbereich Staufläche. Auch hinter der Ausstiegstür gab es nun Doppel- statt Einzelsitze. Dadurch verfügten die beiden Versuchswagen – abweichend von der bisherigen Serienausführung - über jeweils  33 Sitzplätze (Serie: 32), aber nur noch über 58 Stehplätze (Serie: 60). Beheimatet waren diese beiden Busse auf dem Betriebshof Wandsbek. Die Mitnahme von bis zu zwei Kinderwagen war nur außerhalb der Hauptverkehrszeiten gestattet.

 

Das erste Foto zeigt die Einstiegssituation im Ausstiegsbereich. Im Hintergrund sieht man einen City-Bus von 1958 (DB O 319) sowie weitere – vermutlich – fabrikneue Saturn-Busse in Stadtbusausführung.

   

 

Einstiegssituation mit Blick auf einen helfenden Hochbahner und ein Mädchen als Statistin.

 

 

Gut zu erkennen ist die asymmetrische Anordnung des Haarnadelteilers im Ausstiegsbereich.

 

 

Um gegenüber dem Ausstiegsbereich Aufstellfläche für einen Kinderwagen zu gewinnen, wurden hier vier Einzelsitze angeordnet. Das kleine Mädchen erscheint dem Kinderwagenalter entwachsen und dürfte sich für die gestellte Situation im zweiten Foto sehr unbequem in den Kinderwagen gezwängt haben.

 

 

Ein Hochbahner klebt – noch nicht blasenfrei – einen Hinweis auf die Seitenscheibe hinter der Ausstiegstür.

Im Stadtbusbereich verblieb es bei dieser Regelung. Nachfolgende Busbeschaffungen zwischen 1964 und 1967 behielten diese geänderte Sitzplatzanordnung bei. Schnellbusse erlaubten bauartbedingt wegen ihrer Vollbestuhlung weiterhin keine Kinderwagenbeförderung – für drei weitere Jahrzehnte.  

 

Mit der Einführung des in Hamburg maßgeblich (mit-)entwickelten VÖV-Standardlinienbusses ab 1968 gab es gegenüber dem Ausstiegbereich eine sitzplatzfreie Aufstellfläche für Kinderwagen. Allerdings nur bei den Stadtbussen, die ungünstigen Ein- und Ausstiegsverhältnisse über drei Stufen blieben. Bei den ab 1979 eingeführten Schubgelenkbussen fand sich der Kinderwagenplatz im Vorderwagen. Die erste Ausstiegstür, als selbstschließende Tür gebaut, erhielt aus Sicherheitsgründen eine vom Fahrgast beim Fahrer über eine blaue Taste innen oder außen anzufordernde gesonderte Kinderwagensperre, um so ein Einklemmen von Kinderwagen zu verhindern. Auch der 1976 vorgestellte VÖV-Bus II, der hieraus abgeleitete S 80 und die Serienwagen des ÖNV-Standardlinienbus II wiesen weiter einen Kinderwagenplatz auf. Die beim S 80 versuchsweise verwirklichte Idee, diesen nicht mehr genau gegenüber dem Ausstieg, sondern um eine Sitzreihe nach vorne versetzt anzuordnen, setzte sich in der späteren Serienfertigung nicht durch.

 

Mit der Einführung des niederflurigen MB O 405 N im Schnellbusbetrieb konnten ab 1994 auch hier Kinderwagen befördert werden. Die ersten Niederflurbusse erschienen 1990 im Stadtbusbetrieb. Stufenloser Zugang und eine Rampe im Ausstiegsbereich erlauben seitdem (auch) Fahrgästen mit Kinderwagen den bequemen Zugang zum Bus. Allerdings ist die Rampe in erster Linie für Fahrgäste mit Rollstühlen gedacht, die damit im Oberflächenverkehr zu einer neuen Gruppe von ÖPNV-Nutzern wurden und so eine neue, eigene Mobilität erlangten. Um künftig Kinderwagen und Rollstühle befördern zu können, wurde mit Einführung der Niederflurbusse 1991 und noch einmal 2006 (einschließlich  Umrüstung älterer Serien) die Aufstellfläche in HOCHBAHN-Bussen zweimal vergrößert. Seit 2006 finden sich bei den Gelenkbussen hinter dem Gelenk weitere Kinderwagenplätze. Die Anzahl fester Sitzplätze reduzierte sich entsprechend.

Text: Lutz Achilles / HOV


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