Bild des Monats März 2016

 

 

Fragwürdige Gründe für Straßenbahnstilllegungen

 

Vor 40 Jahren, mitten in der Fahrplanperiode des HVV-Winterfahrplans 1975/76, gab es für zahlreiche Fahrgäste kurzfristig größere Veränderungen im Linienangebot. Wer aber aufmerksam die Tagespresse Monate davor verfolgte, merkte, dass sich Veränderungen abzeichneten. Darauf mussten sich die Fahrgäste einstellen. Insbesondere entfielen durchgehende Verbindungen:

Straßenbahnlinie 2 – Stilllegung auf dem Abschnitt Hauptbahnhof – Wilhelmsburg, Mengestraße und Ersatz durch die Buslinie 105.

Straßenbahnlinie 15 (Grindelberg – Eppendorf – Winterhude – Hohenfelde – U Burgstraße – Horn – U Horner Rennbahn) - Stilllegung und abschnittsweiser Ersatz durch eine Buslinie E 14 als Schienenersatzverkehr zwischen UKH Eppendorf und Goldbekplatz, die verlängerte Buslinie 261 für den Abschnitt U Burgstraße – U Horner Rennbahn und die ebenfalls verlängerte Buslinie 130 von U Burgstraße nach S Landwehr. Die parallel zur Linie 15 verlaufende Straßenbahnlinie 14 übernahm das Fahrtenangebot auf dem verbleibenden Streckenabschnitt.

Aufgabe des Beiwagenbetriebs bei der Straßenbahn, zuletzt Linie 1.

Die Alsterdampferlinie 53 (Mundsburger Brücke – Jungfernstieg) kehrte aus der Winterpause nicht mehr zurück. Ersatz durch Straßenbahnlinie 1 und die Alsterdampferlinien 51 und 52. 

 

Mit unserem Bild des Monats wollen wir daran und an die Vorgeschichte dazu erinnern. Die  Einschnitte bei der Straßenbahn waren damals höchst umstritten und besiegelten für Hamburg endgültig das Schicksal dieses heute in anderen Großstädten im In- und Ausland so wichtigen und leistungsfähigen Verkehrsmittels. 

 

Am 05.03.1976 hielt auf der Linie 15 der V6E-Triebwagen 3660 an der Haltestelle Hammer Steindamm. Dank des eigenen Bahnkörpers konnten die Fahrgäste hier unbehindert vom Autoverkehr ein- und aussteigen. Wie bei Streckenstilllegungen der Straßenbahn üblich, verschwanden Tage vor der Einstellung die festen Haltestellenmasten. Als Ersatz dienten dann bewegliche Haltestellenmasten mit Betonsockel. Am linken Bildrand sieht man einen für das Wirken des Hamburger Oberbaudirektors Fritz Schumacher typischen Schulbau in Backstein, heute als „Nordakademie“ Bildungszentrum der Hamburger Finanzverwaltung. Nach dem Ende des Straßenbahnbetriebs entdeckten Autofahrer den eigenen Bahnkörper in der Sievekingsallee schnell als wilden Parkplatz.  

 

Ende 1975 umfasste das Streckennetz der Hamburger Straßenbahn noch 35,71 Strecken-Km und 47,41 Linien-Km. Es gab folgende Linien:

1   Rathausmarkt – Lattenkamp                 7,01 km

2   Schnelsen – Wilhelmsburg                 21,30 km, davon in Betrieb 16,80 km

14 Lattenkamp – S Veddel                       10,51 km

15 Grindelberg  - U Horner Rennbahn      13,09 km

 

Hierfür standen noch 97 Trieb- und 12 Beiwagen zur Verfügung. Der Anteil an eigenem Bahnkörper betrug 10,59 Strecken-Km. Diese für den vom Autoverkehr störungsfreien Straßenbahnbetrieb wichtige Bauform sollte nun um fast die Hälfte schrumpfen. Hinzu kamen noch ca. 6,5 km Strecke mit abmarkierten Gleisen auf Straßenebene.

 

Zwischen Veddel und Wilhelmburg überquerte die Straßenbahnlinie 2 (und als Verstärker auch die Linie 14) den Ernst-August-Kanal eingleisig auf eigener Brücke. Bauarbeiten für den Abwassersammler Wilhelmsburg führten im Sommer 1975 zu Schäden an der Straßenbahnbrücke, nicht aber an der benachbarten Straßenbrücke. Vom 01.08. bis 18.08.1975 ruhte hier der Straßenbahnbetrieb und Busse fuhren als Ersatz. Danach konnte der Straßenbahnbetrieb mit einer Höchstgeschwindigkeit von 6 km/h auf der Brücke wieder aufgenommen werden. Zum 14.09.1975 kam dann das erneute (und endgültige) Aus für die Straßenbahn. Die HOCHBAHN richtete zwischen S Veddel und Mengestraße einen Notverkehr mit Bussen ein. Hierfür mussten bereits zur Ausmusterung abgestellte Busse des Baujahrs 1970 (!) reaktiviert werden. Mit dem 1071 erhält der HOV einen DB O 305 aus dieser Serie.

 

Obwohl ein klassischer Haftpflichtschaden, der zur Instandsetzung der Straßenbahnbrücke hätte führen müssen, nutzte der von der SPD beherrschte Ortsausschuss Wilhelmsburg die Gelegenheit, im September 1975 einen Antrag auf Stilllegung der Straßenbahnlinie 2 bis Hauptbahnhof zu stellen, obwohl die Gleisanlagen in der Amsinckstraße kurze Zeit vorher noch erneuert worden waren. Auch der Ortsausschuss Veddel / Rothenburgsort stellte einen entsprechenden Antrag. Diese Anträge nahmen den üblichen Weg durch die Instanzen und wurden in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Im Hamburger Abendblatt vom 26.09.1975 gab es eine Stellungnahme durch den HVV: „Warum wir vorschlagen, die Straßenbahn stillzulegen“. Im Januar 1976 erfuhren die Abgeordneten in der Bezirksversammlung Hamburg-Nord, dass die HEW planten, ab März 1976 eine Fernwärmeleitung in der Hudtwalckerstraße zu erneuern. Obwohl die Bauarbeiten nicht im Bereich der Straßenbahngleise stattfinden sollten, sah man die Stilllegung der hier verkehrenden Straßenbahnlinie 15 vor, um so für den Kfz-Verkehr und Busverkehr in Richtung Eppendorf eine Ausweichfläche zu haben. Der HVV war mit der Einstellung der Linie 15 bis Grindelberg zum 29.02.1976 einverstanden und schlug stattdessen eine neue Buslinie 213 vor, die zwischen UKH Eppendorf und Goldbekplatz verkehren sollte. Die Bezirksversammlungen Hamburg-Nord und –Eimsbüttel sprachen sich dagegen aus. Weiter lief ein Antrag auf Stilllegung der Linie 15 im Ostabschnitt zwischen U Burgstraße und U Horner Rennbahn. Hier wünschte der Ortsausschuss Billstedt einen Wochenmarkt auf dem Gelände der Straßenbahnkehre am Endpunkt Horner Rennbahn.

 

Die Anträge fanden ihren Weg in die Bezirksversammlungen und wurden auf Initiative der FDP-Fraktion am 28.01.1976 Gegenstand einer „Aktuellen Stunde“ in der Hamburgischen Bürgerschaft. Zusammen mit der SPD bildete damals die FDP den Senat. Der FDP-Abgeordnete Klüver verwahrte sich dagegen, dass „verkehrs- und straßenbahnfremde Faktoren Sachzwänge schafften, die die Entscheidung über die Frage der Beibehaltung und des vernünftigen Einsatzes der Straßenbahnen“ beeinflussen und dass „im Eilverfahren“ die Gremien zu entscheiden hätten. Auch hätten sich die dem Beschluss von 1960 zur Abschaffung der Straßenbahn zugrundeliegenden Rahmenbedingungen mittlerweile geändert. Der Redner der CDU-Opposition forderte - wie der Vorredner von der SPD-Fraktion - das vom Senat der Bürgerschaft zugesagte und noch immer nicht vorliegende „Gutachten zur Wirtschaftlichkeit der Straßenbahn“ als Entscheidungsgrundlage. Auch beklagte er die Kurzfristigkeit der geplanten Stilllegungen mitten in der Fahrplanperiode und verwies auf Straßenbahn-Ausbaupläne in anderen bundesdeutschen Großstädten.

 

Für den Senat antwortete der Wirtschaftssenator Helmuth Kern von der SPD. Er betonte, dass er mit seiner Wirtschaftsbehörde über die Anträge auf Stilllegung zu entscheiden habe und dass er die von den Bezirksgremien und dem HVV gestellten Anträge für gerechtfertigt ansehe. Er machte deutlich, dass ihm „diese endlose Diskussion um diesen Rest der Straßenbahn längst zum Halse heraus hänge“. Auch habe der Senat „allerdings vor, das zu tun, was er seit langem vorhat“. Und er sei dafür da, „dass er getroffene Entscheidungen auch hinterher durchführt.“

 

Die Bürgerinitiative „Moderne Straßenbahn“ sah nicht nur bei der CDU-Opposition und der FDP, sondern auch zunehmend bei der SPD „immer mehr Gegner der Auflösung des Straßenbahnnetzes“. Das galt nach Einschätzung der Initiative auch vermehrt für die Verantwortlichen im „Hochbahnhaus“. Exponierte Vertreter der Straßenbahnstilllegung waren damals neben dem schon zitierten Senator Kern auch der HHA-Vorstandssprecher Tappert. Die Welt am Sonntag verstieg sich am 01.02.1976 in einem Artikel zum Thema zu der Annahme  einer „Verschwörung zwischen HHA-Boss und Wirtschaftssenator“ und der Aussage „Straßenbahn soll sterben, ehe Kern abtritt.“. Da zum 01.04.1976 der HHA-Vorstandssprecher Tappert in den Ruhestand wechselte und der Senator zum 30.04.1976 die Wirtschaftsbehörde verließ, um den Vorsitz der städtischen Hamburger Hafen- und Lagerhaus AG zu übernehmen, wollten die beiden Herren ihr Vorhaben zur Abschaffung der Straßenbahn im Eiltempo vorantreiben, um so ein späteres Zurück zu verhindern.

 

Wie eingangs erwähnt, kam es zum 07.03.1976 weitgehend zur Umsetzung der Pläne, die  das Ende der Hamburger Straßenbahn unumkehrbar machten. Lediglich der westliche Teil der Linie 15 durch die Hudtwalckerstraße wurde nur vorübergehend stillgelegt. Die vom HVV geplante Buslinie 213 fuhr nun als Straßenbahn-Ersatzlinie 14, um für die Fahrgäste von und zur verbleibenden Straßenbahnlinie 14 keinen tariflichen Nachteil eintreten zu lassen. Am 25.07.1976 endete der Ersatzverkehr und die Straßenbahnlinie 14 übernahm den Streckenabschnitt bis Grindelberg, bis zur Einstellung dieser Linie im Mai 1977.

 

Die Abschaffung des Beiwagenbetriebs erfolgte so „nebenbei“. Auf der Linie 1 wurde der Betrieb mit nun solo verkehrenden Triebwagen verdichtet. Damit entfiel der Vorteil der Straßenbahn, durch Einsatz von Beiwagen die Kapazität schnell zu verstärken und den Triebwagenfahrer von barzahlenden Fahrgästen zu entlasten. Allerdings war mit dem nach der großen Beiwagen-Verschrottungsaktion im Herbst 1975 verbleibenden Rest von zwölf Beiwagen auch nicht mehr viel zu erreichen. 

 

 

Am 05.03.1976 war der letzte Betriebstag für Straßenbahnzüge mit Beiwagen. An diesem Tag verkehrten die zehn Züge auf der Linie 1 weitgehend typenrein, d.h. den V7-Beiwagen wurde ein V7-Triebwagen zugeordnet. Das erleichterte später das Abstellen der Züge im Betriebshof Krohnskamp zur Ausmusterung. Damit verschwanden die letzten V7-Triebwagen mit einem Fahrzeugalter von 19 Jahren. Die zunächst verbleibenden V6-Triebwagen wiesen im Durchschnitt ein fünf Jahre höheres Alter auf. Nur der V7E 3361, 1975 neu lackiert, überstand diese Ausmusterungsaktion. Er gelangte im Mai 1977 in das Eigentum des VVM. Am letzten Betriebstag stehen hier der Straßenbahnzug mit V7BE 4367 und V7E 3389 an der Haltestelle Mühlenkamp / Hofweg, davor ein wartender V6-Triebwagen in Richtung Winterhuder Weg. Der V7-Triebwagen trägt oberhalb der Werbefläche versuchsweise eine abweichende Beschriftung, um die Fahrgäste auf den Zustieg beim Fahrer hinzuweisen.

 

Am Zug entlang hat sich ein Autofahrer mit  seinem DKW Meisterklasse bis unmittelbar vor den einsteigenden Fahrgast gezwängt. Von Gegnern der Straßenbahn (und der modernen Stadtbahn) wird bis heute immer wieder auf die Gefährdung der Fahrgäste beim Ein- und Ausstieg durch Autos hingewiesen. Obwohl auch damals schon die – von Autofahrern nicht immer beachtete - Rechtslage klar zugunsten der Straßenbahnfahrgäste geregelt war, gibt es heute technische Einrichtungen, die es erlauben Autos vom Fahrgastwechsel fernzu-halten.

 

 

In der Abendsonne des 26.09.1975, dem letzten Einsatztag von Beiwagen auf der Linie 2, steht der von der Mönckebergstraße gekommene und aus dem V6E 3646 und einem V7BE bestehende Straßenbahnzug im Klosterwall an der Haltestelle U Steinstraße. Auffallend ist, dass der Triebwagen im Einstiegsbereich V7-Türen (Scheiben unterteilt) aufweist, die er nach einem Unfall erhielt. Leider traten Schäden in diesem Bereich nicht selten auf, weil unaufmerksam nach links abbiegende Autofahrer immer wieder der Straßenbahn hier Schäden zufügten. Zu der Zeit waren die V7-Triebwagen schon weitgehend verschrottet, die Hauptwerkstatt hatte sich für künftige Unfallschäden einen Vorrat an alten Türen angelegt. Auch fanden diese – in gekürzter Form - bei den Alsterschiffen im Einmannbetrieb Verwendung.

 

Mit der Einstellung des Straßenbahnbetriebs am 06.03.1976 verwaiste hier dieser moderne Bahnkörper. Die Busse der Nachfolge-Buslinie 105 und weiterer Buslinien aus dem Hamburger Osten mussten im Klosterwall und Steintorwall im Verkehr „mitschwimmen“, also oft im Stau stehen. Das galt auch für die Anlagen in der Amsinckstraße. Um die Verspätungsanfälligkeit der Busse zu verringern, wurden später Teile des ehemaligen Bahnkörpers zu Bussonderspuren. Das galt auch für den Bereich Klosterwall und Steintorwall, der über Jahre Bussen in Richtung Hauptbahnhof / Mönckebergstraße hier freie Fahrt – am Stau vorbei – erlaubte. Unterhalb der Rampe befindet sich der Deichtortunnel, der Mitte der 1960er-Jahre für den Kfz-Verkehr entstand. Hierfür musste 1963 entlang des heutigen Straßenrings 1 die zwischen Karl-Muck-Platz und Glockengießerwall weitgehend auf eigenem Bahnkörper verlaufende Strecke der Straßenbahnlinie 11 aufgeben werden. In jüngster Zeit ist der Autotunnel im Bereich Klosterwall verbreitert worden und die Busspur in diesem Bereich verschwand. Nun stehen die Busse, auch die der wichtigen MetroBuslinie 3, in Richtung Hauptbahnhof im Stau. Dabei könnte leicht der Parkstreifen am rechten Rand des Klosterwalls in eine Bussonderspur umgewidmet werden. Und das eher günstig im Vergleich zum teuren Busbeschleunigungsprogramm des Hamburger Senats an anderen Stellen im Stadtgebiet. Auch zeichnet es sich ab, dass die hier verkehrenden Buslinien künftig Teile der Bussonderspur in der Amsinckstraße verlieren sollen und so immer mehr „entschleunigt“ werden.

 

Und noch ein letztes Wort zur eingestellten Alsterdampferlinie 53. 1975 konnte man vom Jungfernstieg mit einem Alsterschiff zum HVV-Tarif zum Winterhuder Fährhaus (Linie 51) und zur Saarlandstraße (Linie 52) sowie eben zur Mundsburger Brücke (Linie 53) schippern. Hinzu kam noch die Alsterfähre zwischen Fährdamm und Uhlenhorster Fährhaus als Linie 55. Viele Berufstätigte bevorzugten, insbesondere nach Einführung des HVV-Gemeinschaftstarifs 1966, zunehmend die schnelleren Landverkehrsmittel, so dass die Fahrgastzahlen rückläufig waren. Das geringste Fahrgastaufkommen hatte damals die Linie 53.  Damit wurde hier aber auch das Ende der Alsterschifffahrt im Linienverkehr zum HVV-Tarif eingeläutet.   

Text: Lutz Achilles / HOV


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