Bild des Monats Mai 2016

 

 

Rückkehr eines Straßenbahnwagens nach Hamburg

 

Am frühen Abend des 11.04.2016 kehrte der V7E 3363, Baujahr 1957 an seinen ehemaligen Heimatbetriebshof zurück, den er vor fast vierzig Jahren im Sommer 1977 verlassen musste. Auf dem Gelände des seit Jahrzehnten als Supermarkt genutzten ehemaligen Straßenbahn- und Busbetriebshofs Krohnskamp in Hamburg-Winterhude wurde der Triebwagen zunächst auf dem früheren Ausfahrtbereich abgeladen. Von der Bremer Straßenbahn AG kamen hierfür zwei Gleisjoche. Ein kurzfristiges Verbringen in die Parkplatzhalle ist vorgesehen. Leider wurde der Wagen zwischenzeitlich von „selbsternannten Künstlern“ mit Graffitis  beschmiert. Für die Initiatoren, dem Ehepaar Ingo und Johanna Naefcke und deren Unterstützer bedeuteten diese Sachbeschädigungen unnötigen zusätzlichen Aufwand. Den hatten sie in den letzten Monaten genug. Der Straßenbahntriebwagen gelangte im Spätsommer 1977 an das Deutsche Straßenbahnmuseum (DSM) in Wehmingen bei Hannover. Auch bei dessen Nachfolger, dem Hannoverschen Straßenbahnmuseum (HSM), stand der Wagen seitdem im Freien. Von starken An- und Durchrostungen sowie Durchfeuchtungsschäden schwer gezeichnet präsentierte sich der Straßenbahnwagen absolut desolat, als die Eheleute Naefcke  am 12.12.2015 begannen, die schlimmsten Schäden zu beseitigen und das optische Erscheinungsbild zu verbessern. Zuvor hatten sie dem HSM den Wagen abgekauft. Neben ungezählten Arbeitsstunden lag das finanzielle Risiko für das Vorhaben, den Wagen aufzuarbeiten und nach Hamburg zu bringen, allein bei den Eheleuten Naefcke, beseelt von dem Gedanken, ein Stück Verkehrsgeschichte für Hamburg zu erhalten.

 

Mit der Rückkehr des Triebwagens hat sich der Bestand der in Hamburg erhalten gebliebenen Straßenbahnwagen verdoppelt. Neben den seit Sommer 2014 im „BAUHAUS“-Baumarkt in Hamburg-Lokstedt stehenden V6E-Triebwagen 3642 (Falkenried, Baujahr 1952), ex HOV, ist nun der „3363“ getreten. Es ist bedauerlich, heute noch solche Zahlenspiele anstellen zu müssen. Deutete sich doch am Ende des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts an, dass Hamburg eine moderne Straßenbahn als Stadtbahn zur Linderung der heute akuten Verkehrsprobleme erhalten würde. Doch hat die Wandlungsfähigkeit der Politik dieses bis heute verhindert. Erinnert sei nur daran, dass die SPD – als Oppositionspartei – und die CDU in der Koalition mit den Grünen – durchaus glaubhaft – für die Stadtbahn eintraten. Umso fassungsloser macht es zu sehen, wie schnell durch neues Führungspersonal in den Parteien dieses Anliegen in sein Gegenteil gedreht werden konnte – und das ohne erkennbaren innerparteilichen Widerspruch.   

 

Mit unserem Bild des Monats wollen wir an die Geschichte des Straßenbahnwagens 3363 erinnern. Auch wenn der nach Hamburg zurückgekehrte Triebwagen einen vorläufigen Anstrich mit einer nicht ganz zeitgemäßen Wagennummern-Schrifttype und ohne die typische „Bauchbinde“ erhielt, so ist doch zu erkennen, dass noch einiger Restaurierungsaufwand notwendig wird. Allerdings planen die Initiatoren, einzelne Verfallsspuren der fast vierzigjährigen Freiaufstellung in Wehmingen zu erhalten.  

 

 

Im Spätsommer 1977 gelangte der Triebwagen 3363 zusammen mit dem V7BE 4384 nach Wehmingen. Das am 13.09.1998 im Straßenbahnmuseum aufgenommene Foto vom 3363 zeigt diese Spuren in Form von Rost und verwitterter Farbe nach rund 21 Jahren Aufstellung ohne Schutzdach und unter Bäumen. Für den Wagen sollten danach noch knapp 18 weitere Jahre des Verfalls folgen. So gesehen weisen ältere Straßenbahnwagen doch eine massive Grundsubstanz auf – ein Omnibus hätte sich in dieser Zeit sicherlich „selbst zerlegt“. Der HOV hat mit dem Citybus 6019 von 1958 ein solches Beispiel in seiner Sammlung, der nach rund 30 Jahren Freiaufstellung im Stadtgebiet 2002 noch vor dem endgültigen Verfall gerettet werden konnte. Im Hintergrund sieht man den erwähnten Beiwagen. Der 1957 bei Orenstein & Koppel (O&K) in (West-)Berlin gebaute Wagen erhielt einen Aufbau aus Aluminium. Deswegen sah der Wagen damals noch ungleich besser als der Stahlblech-Triebwagen aus. Der Beiwagen befindet sich heute – zwischenzeitlich in Gera aufgearbeitet – im dänischen Straßenbahnmuseum Skjoldenaesholm. Über die Geschichte dieses Beiwagens wurde bereits im Bild des Monats „April 2014“ (siehe Archiv) berichtet.

 

Der bei LHB gebaute und am 10.05.1957 als Wagen 3413 in Betrieb genommene V7-Triebwagen gehörte zur letzten Lieferung von 40 modernen Straßenbahntriebwagen für Hamburg. Damals war die Straßenbahn noch der Verkehrsträger Nr. 1 in Hamburg. Erst 1962, nach weiteren Streckenstillegungen bei der Straßenbahn und Erweiterungen bei der U-Bahn, übertraf die U-Bahn bei insgesamt stagnierenden bis leicht rückläufigen Fahrgastzahlen erstmals die Straßenbahn.

 

Nach dem Ende des II. Weltkriegs war der verbliebene Bestand an Straßenbahnwagen veraltet. Die nach der Währungsreform am 20.06.1948 in Westdeutschland einsetzende wirtschaftliche Belebung erlaubte der HOCHBAHN, die Modernisierung der Hamburger Straßenbahn anzugehen. Aufbauend auf den 1941/1943 gebauten V5 entstand bei Falkenried ein verbesserter, aus vierachsigen Trieb- und Beiwagen bestehender V6-Probezug mit Fahrgastfluss. Im Oktober 1949 begann der Zug seine Probefahrten auf der Linie 3 zwischen Eidelstedt und Wandsbek. Die V6-Serienlieferung begann 1951. Bis 1953 entstanden bei Falkenried und LHB 102 Triebwagen und 100 Beiwagen (nur LHB). Bereits 1950 begann die HOCHBAHN mit dem Bau eines gegenüber dem V6 erneut verbesserten V7-Probezugs, wieder in vierachsiger Ausführung und mit Fahrgastfluss. Als eine Neuerung dürften dem Fahrgast die elektrisch zu öffnenden und schließenden Falttüren anstelle von Schiebetüren  aufgefallen sein. Die Erprobung fand ab März 1951 ebenfalls auf der Linie 3 statt. 1953/54 und 1957 kam es zur Serienlieferung von 50 bzw. 40 bei LHB gebauten V7-Triebwagen. O&K baute 1953/54 30, 1955 5 und 1956/57 45 dazu passende Beiwagen.

 

Der Lebenslauf des Wagens 3363 ist nicht von besonderen Auffälligkeiten geprägt und lässt sich anhand der Aufzeichnungen des Verkehrsamateurs Egon Ihde darstellen. Nach der Inbetriebnahme gelangte dieser V7 als Wagen 3413, wie auch andere Triebwagen seiner Serie, zum Betriebshof Lokstedt. Die  Linien 2 und 18 und ab 1960 auch die Verstärkungslinie 4 stellten damit das Haupt-Einsatzgebiet für den Wagen dar. Obwohl  sich die Fahrzeuge der letzten Typenreihen der Hamburger Straßenbahn gewöhnlich gut mit Fotos dokumentieren lassen, ist uns das beim 3413 bisher nicht gelungen. Wenn ein Leser dieser Zeilen über  ein Foto vom 3413 verfügt und einverstanden wäre, es in einer Ausstellung zu zeigen, würden wir uns über eine Kontaktaufnahme sehr freuen – Ansprechpartner, siehe unter www.hov-bus.de.

 

Im November 1964 erhielt der Triebwagen eine Generalüberholung (GÜ). Im September 1965 erfolgte der Umbau zum Einmannwagen (s.a. Bild des Monats „April 2014“). Wegen der Umbauten war auch eine Neulackierung des Wagenkastens fällig. Wie alle Einmannwagen bekam der nun als „3363“ bezeichnete Triebwagen im Front- und Heckbereich einen beigefarbenden Streifen und vorne ein Band mit Liniennummern auf schwarzem und rotem Grund. Bei späteren Neulackierungen der V6E ab Ende 1973 entfiel dieser Farbstreifen wieder – allerdings erhielten die V7E (bis auf Wagen 3361, heute VVM) keine vollständige Neulackierung mehr. Nach dem Umbau gelangte der 3363 zum Betriebshof Langenfelde, der damals als Busbetriebshof noch über einen Straßenbahnteil verfügte. Die Linien 3 und 16 wurden damit zu seinem neuen Einsatzgebiet.

 

 

1966 stand der jetzt als V7E bezeichnete 3363 mit dem V7BE 4351 als Linie 16 in der Schleife Lutterothstraße. Bis zum 02.01.1967 verkehrte diese Linie zwischen Eimsbüttel, Lutterothstraße und Winterhude, Lattenkamp. 1967 wurde der Wagen nach Winterhude zum  Betriebshof Krohnskamp umbeheimatet. Das Einsatzgebiet des damals größten Straßenbahnbetriebshofs Hamburgs umfasste fast sämtliche noch in Betrieb befindlichen Straßenbahnlinien.

 

 

Im Juli 1969 hielt zum Fahrgastwechsel der V7E 3363 zusammen mit V6BE 4616 als Linie 3 an der Haltestelle Rathausmarkt. Mit dem Umbau auf Einmannwagen bekamen alle Triebwagen eine elektrische Broseband-Fahrtzielanzeige mit 100 Zielfeldern und eine seitliche Doppelband-Anzeige mit dem Linienverlauf. Im Zeitpunkt des Einbaus der Einheitsausgabe 1965 in diesen Triebwagen fuhr die Linie 16 noch bis zum Lattenkamp, die Linie 3 endete regulär am Goldbekplatz. Nach Stilllegung der Linie 16 wurde für die Linie 3 Lattenkamp der neue Endpunkt. Um das alte Linienverlaufsband weiter verwenden zu können, übermalte man die „16“. Im August 1969 bekam der Triebwagen noch eine Hauptuntersuchung.

 

 

Nur zwei Fahrplanperioden lang gab es die Linie 12, die zwischen Rathausmarkt und Rönneburg verkehrte. Der V7E 3363 kam dadurch auch in den Hamburger Süden. Am 01.03.1971 hielt der Triebwagen an der Haltestelle Hauptbahnhof/Mönckebergstraße. Im Hintergrund sieht man einen MAGIRUS-DEUTZ 170 S 10 H, Baujahr 1969, als stark verschmutzten Schnellbus auf der Linie 37.

 

 

Am 11.10.1972 endete der V7E 3363 als Solotriebwagen und als Verstärker auf der Linie 2 am Bahnhof Veddel. 

 

 

Mitten im Winterfahrplan 1975/76 gab es im März 1976 Veränderungen im Straßenbahnbetrieb. Die Hintergründe hierfür waren Thema des Bilds des Monats „März 2016“ (siehe HOV-Archiv). Am 05.03.1976 endete der Beiwagenbetrieb in Hamburg. Der Bestand an aktiven V7-Wagen, obwohl  jünger als die V6, war damals auf 10 Trieb- und 12 Beiwagen gesunken. In der letzten Betriebswoche vom 01. bis 05.03.1976 verkehrten die V7-Beiwagen auf der Linie 1 überwiegend als typenreine V7-Züge. Nur der V7E 3363 blieb solo und verkehrte damals meist auf der Linie 2, hier am Rathausmarkt. Bereits zum Sommerfahrplan 1973 erhielten alle verbliebenden Trieb- und Beiwagen neue Fahrtzielbänder in positiver Schriftausführung. Die alten Bänder wiesen zu viele Fahrtziele auf, die nicht mehr von der Straßenbahn angefahren werden konnten. Vermutlich durch einen Unfallschaden mit anschließender Front-Neulackierung hatte sich der Platz für die Wagennummer auf der Front verändert. Jetzt nicht mehr in der Mitte, sondern wie bei den V6-Triebwagen vorne rechts – hier aber etwas zu tief. 

 

 

Heckaufnahme des V7E 3363: Die Wagennummer befindet sich weiter mittig. Am 20.03.1976 war der Wagen im Betriebshof Krohnskamp, zusammen mit V7BE 4368, bereits abgestellt, die weitere Verwendung noch offen. Vor dem Triebwagen sieht man das Heck des V7BE 4384. Im Vergleich mit den anderen zuletzt im Einsatz befindlichen V7 war der äußerliche Zustand des 3363 damals schon schlecht

 

 

Zum Abschluss noch kurz einige Informationen zum künftigen Aufstellort des Straßenbahnwagens. Winterhude war ein wichtiger Standort im Straßenbahnnetz und auch für den Autobusverkehr der HOCHBAHN. Das Luftbild aus den 1960er Jahren zeigt die Ausmaße der Betriebshofanlage. Am unteren Bildrand verläuft die Dorotheenstraße, rechts zweigt der Krohnskamp ab. Angrenzend an den noch aus Zeiten der Straßen-Eisenbahn-Gesellschaft stammenden Betriebshof Dorotheenstraße baute die HOCHBAHN 1927 den Straßenbahnbetriebshof Krohnskamp mit zweiteiliger Wagenhalle (dunkles Dach) und je acht Aufstellgleisen sowie einem angrenzenden Werkstatttrakt. Die neue Anlage entstand unter Einbezug des hinteren Teiles des Betriebshofes Dorotheenstraße. Die dort noch stehende Wagenhalle war – betrieblich ungünstig – nur über Drehscheiben zu erreichen. Im Anschluss an die Straßenbahnhalle entstand noch eine große Wagenhalle (helles Dach) für bis zu 120 Autobusse.

 

Im Hintergrund sieht man den zweigleisigen Versuchsring für Werkstattfahrten. Rechts davon eine Kehrschleife für aussetzende Straßenbahnzüge. Zum Zeitpunkt der Aufnahme diente der Ring aber dem Abstellen ausgemusterter zweiachsiger Straßenbahnwagen. 1962 wurde, nach Aufgabe der Straßenbahnnutzung, die Wagenhalle Dorotheenstraße abgebrochen und dort eine Freiaufstellanlage für Busse  geschaffen. Im Hintergrund sieht man den Werkstattbereich für den Busbetrieb. Es bestand eine Verbindung zur Wagenhalle Krohnskamp..

 

 

Das ungefähr Ende der 1920er Jahre entstandene Foto zeigt die Autobushalle neben der Straßenbahnhalle. Während der Straßenbahnbetriebshof bis zuletzt die betriebliche Abkürzung „K“ hatte, wurde der Autobusteil zunächst als „X“ bezeichnet. Später kam auch hier „K“ zur Anwendung. Vor dem Betriebshof steht der Autobus 54, ein BÜSSING VI Gl D2 von 1927.

 

Mit Eröffnung des Betriebshofs Mesterkamp 1967 gab die HOCHBAHN den Busbetriebshof Krohnskamp/Dorotheenstraße auf. In den nun leerstehenden Hallenkomplex zog um 1972 die Supermarktkette „Mehr Wert“, später „Toom“ ein. Ein Einkaufsparadies für die Hamburger in damals unbekannten Dimensionen. Der Straßenbahnring wurde zum Kundenparkplatz mit Tankstelle. Der angrenzende Straßenbahnbetriebshof Krohnskamp mit 16 Hallengleisen für bis zu acht vierachsige Straßenbahnwagen blieb bis in den Spätsommer 1977 in der Nutzung. Nach Verschließen der Gruben der Hallengleise gab es auch hier Kundenparkplätze für den Supermarkt. Zur Jahrtausendwende wurde dieser Hallenkomplex abgebrochen, lediglich die Hallenrückwand blieb stehen. An dieser Stelle entstand das heutige mehrstöckige Parkhaus. Der Straßenbahnwagen wird künftig an einer Stelle stehen, an der auch früher Straßenbahnwagen auf Gleisen standen, nur nicht mehr in dem Originalgebäude. Dafür befinden sich die heutigen Verkaufsflächen des REWE-Center in der früheren Autobushalle des Betriebshofs Krohnskamp.     

 

Wie eingangs erwähnt, geschah die Rückholung auf Initiative von Ingo und Johanna Naefcke auf deren Kosten. Die vielen Hamburgern nicht nur von der Ganzflächenwerbung am HOCHBAHN-Bus 7309 bekannten Betreiber des REWE-Center in Hamburg-Winterhude, die  Kaufleute Holger Stanislawski (langjähriger Fußballer und Trainer beim FC St. Pauli) und Alexander Laas, unterstützen im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Projekt vor Ort. Das Ehepaar Naefcke hofft auf Unterstützung durch Geldspenden, auch um an dem Wagen noch Verbesserungen vorzunehmen, damit zum bevorstehenden Jubiläum „150 Jahre Hamburger Straßenbahn am 16.08.2016“ ein würdiges Relikt der Hamburger Verkehrsgeschichte präsentiert werden kann. Der HOV möchte das Projekt gerne mit einem Spendenaufruf unterstützen. Allerdings muss angemerkt werden, dass diese Geldspenden steuerlich nicht abzugsfähig sind. Aber vielleicht geht es auch mal so! Geldspenden bitte an:

Ingo Naefcke, Sparkasse Holstein, IBAN DE29 213 522 40 0189 7860 49. Bitte den Zusatz „3363 Aschenputtel“ nicht vergessen!  

 

Text: Lutz Achilles / HOV


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