Bild des Monats Dezember 2016

 

 

Auf glatten Straßen durch Hamburg

 

Der Umweltschutzgedanke bei der regierenden SPD in Hamburg ist bis heute eher schwach ausgeprägt, insbesondere wenn es um den Autoverkehr in Hamburg geht. Da wird derzeit durch den Ersten Bürgermeister angesichts des aktuellen Abgasskandals sehr viel Verständnis für die Halter hoch motorisierter Dieselfahrzeuge gezeigt und er erweckt zugleich den Eindruck, nicht der Pkw- sondern der Busverkehr sei in Hamburg für die Luftverschmutzung maßgeblich verantwortlich. Umso erstaunlicher, dass Mitte der 1980er-Jahre gerade ein regierender SPD-Senat sich um den Schutz der Straßenbäume sorgte und dadurch für chaotische Verhältnisse  im Hamburger Straßenverkehr im Winter 1985/86 und im Folgewinter sorgte. Erfahrungen früherer schneereicher Winter in Hamburg zeigten, dass der exzessive  Einsatz von Streusalz auf Straßen und Gehwegen zu schweren Schäden an Hamburgs Straßengrün führte. Hinzu kam noch die allgemeine Luftverschmutzung in der Bundesrepublik, die Hamburgs Bäume, auf die diese Stadt so stolz ist, unter dem Begriff "Waldsterben durch sauren Regen" zunehmend bedrohte. Und so kam es nun zu einem weitgehenden Verzicht auf die Verwendung von Streusalz im Straßenverkehr und auch zum zeitweiligen Stillstand im Hamburger Busverkehr. Mit unserem Bild des Monats wollen wir daran erinnern.

 

Der Winter 1985/86 begann schon früh, als bereits Ende November 1985 Kälte und Schnee Hamburg erreichten. Die Verkehrssituation führte am 22.11.1985 dazu, dass in Teilen Hamburgs, wie hier auf der Alsterdorfer Straße in Winterhude, im Busverkehr nichts mehr ging. In Höhe der katholischen Kirche St. Antonius stauten sich an diesem Tag in der morgendlichen HVZ aufgrund der Glätte die HHA-Busse 7032, 7019, 7205 und 7203 (DB O 305G) mit frierenden Busfahrern davor. Auf einem Weg von knapp zweihundert Metern weiter zurück in Richtung Alsterdorf konnte man damals vier weitere "gestrandete" Gelenkbusse antreffen. Damit war der Busverkehr auf der Buslinie 109 weitgehend eingestellt.

 

 

Gut zu erkennen ist die vereiste Fahrbahn in der Alsterdorfer Straße kurz vor der Kreuzung Braamkamp / Deelböge, die am 22.11.1985 bei den Fahrern der HHA-Busse 7214 und 7238 (DB O 305G, Serie 7201-7240, Baujahr 1982) zu einer Zwangspause führte. Der HOV hat heute mit dem Wagen 7211 einen Bus aus dieser Serie in seinem Bestand von Museumsbussen.

 

Die Baubehörde wurde damals von zwei Senatoren geführt. Der aufgrund seiner robusten Art, Entscheidungen herbeizuführen, der Idee einer autogerechten Stadt nicht ganz entfremdete und dem rechten Parteiflügel zuzurechnende Senator Eugen Wagner wurde von Umweltschützern gerne als "Beton-Eugen" bezeichnet. In dessen Ressort fiel zu dieser Zeit  aber nicht die Zuständigkeit für den Winterdienst auf Hamburgs Straßen. Diese oblag dem zweiten Bausenator, dem dem linken Parteiflügel zuzuordnenden und den Umweltschutz befürwortenden Jörg Kuhbier, zuständig für Wasserwirtschaft, Energie und Stadtentsorgung. In der "ZEIT online" vom 06.02.2015 werden unter "Ice Ice Baby" die überraschenden Hintergründe für die damalige Entscheidung, auf den vollständigen Einsatz von Streusalz auf Hamburgs Straßen zu verzichten, dargestellt. Der heute für alle Grundstückseigentümer geltende - und nicht immer beachtete - Verzicht auf den Einsatz von Tausalz auf Gehwegen bestand in Hamburg bereits seit 1974, so dass sich für Hamburg ein im Sinne des Umweltschutzes salzfreier Winter ankündigte. Stattdessen galt es, die Glätte mit "abstumpfenden Mitteln" wie Splitt (scharfkantiges Granulat), Sand und - wie schon bei unseren Vorvätern üblich - mit Asche zu bekämpfen. Hinzukam noch die mechanische Schneeräumung. Für Hamburg war das neu, nicht so für West-Berlin, das mit dem Verzicht auf Streusalz schon Erfahrungen hatte. Im Vergleich zum Bundesgebiet war hier zwar die Zahl der Blechschäden höher, die der Personenschäden aber signifikant niedriger. Das lag an der reduzierten Geschwindigkeit des Verkehrs. 

 

Der Senator hatte sich vorher bei Hamburgs Busfahrern  erkundigt, die sahen im Einsatz von abstumpfenden Mitteln anstelle von Tausalz kein Problem. Sie fürchteten aber Hamburgs dilettantische Autofahrer - und die wurden dann auch zum Problem. Der von der Politik bis heute gerne an Hamburgs Autofahrer gerichtete Appell an die Vernunft - um nicht etwas mit Sanktionen regeln zu müssen - sah hier den verstärkten Umstieg auf Bus und Bahn vor. Nur dieser Appell verfing nicht. Stattdessen bewiesen die Autofahrer, dass sie mit ihrem bisherigen Fahrverhalten mit der Glätte, auch aufgrund unzureichender Bereifung, nicht zurechtkamen und die Glätte mit durchdrehenden Reifen noch beförderten. Hierdurch entstanden Verkehrssituationen, die den verantwortungsbewussten Hamburger Busfahrer zur Beendigung seiner Fahrt zwangen – wie das Foto oben zeigt. Autofahrer blockierten den Winterdienst, so dass abstumpfende Mittel nicht immer situations- und zeitgerecht aufgebracht werden konnten. Aber die Hamburger Autofahrer unterzogen sich im weiteren Verlauf des Winters einem länger andauernden Lernprozess, den sie allerdings in jedem neuen Winter wieder durchlaufen müssen.    

 

Wenn in Hamburg in Sachen Autoverkehr etwas nicht rund läuft, meldet sich der  Springer-Konzern mit seinen Publikationen gerne mit einer klaren Meinung dagegen zu Wort. Und wenn dann auch noch Passanten auf glatten Gehwegen zu Schaden kommen, wird vom Boulevardblatt "BILD" auch gerne schnell drastisch formuliert. Für diese Unfälle lag damals (wie heute!) die Verantwortung meist nicht bei der Stadt, sondern bei den Grundstückseigentümern, die ihrer Sicherungspflicht durch Räumen und Abstreuen der Gehwege mit abstumpfenden Mitteln nicht nachkamen. Für die Schreiber ein gerne nicht beachtetes Detail. Und dann erschien noch der selbstbewusste und vermeintlich im Namen seiner Mitglieder sprechende ADAC-Gau Hansa auf der Bühne, der den verantwortlichen Senator Kuhbier öffentlich scheltete. Für Senator Kuhbier kam es also dicke. Nicht wenige Politiker neigen in solchen Fällen dazu, sich einem derartigen "Meinungssturm" durch Anpassung zu entziehen. Nicht so Senator Kuhbier, der auch innerparteilichen Anfeindungen standhielt! Aber trotzdem gab es Veränderungen - ohne die grundsätzliche Haltung zum Salzverzicht aufzugeben. Den auch vorher schon vorgesehenen Ausnahmen vom Salzstreuverbot wurden weitere hinzugefügt. Hamburg überstand auch diesen Winter. Der regelmäßige Einsatz von Splitt führte am Ende dazu, dass rund 60.000 Tonnen Splitt auf Hamburgs Straßen lagen. Es dauerte bis Ostern 1986 bis alles wieder eingesammelt war, danach wurde das Material für den kommenden Winter aufgearbeitet.

 

 

Aber auch der Winter 1986/87 kam mit Schnee und Eis. Am 09.01.1987 hielt der HHA-Bus 2658 (MB O 405, Serie 2601-2680, Baujahr 1986) an der Haltestelle Sellhopsweg. Wie im vorhergehenden Winter sind die Straßen nicht vom Schnee befreit, sondern nur mit Splitt abgestreut. Die Schneeräumung an dieser Haltestelle wurde vom Grundstückseigentümer anscheinend vergessen. 

 

 

Mit Ausnahme vom Betriebshof Schützenhof in Altona gab es damals auf jedem HOCHBAHN-Betriebshof eine Unimog-Zugmaschine mit einem Streuwagen. Heute sind diese der TEREG zugeordnet. Diese Fahrzeuge dienten der Schneeräumung auf dem Betriebshofgelände und dem Abschleppen schadhafter Busse. Am 09.01.1987 verrichtete der Unimog 613 (Baujahr 1979) vom Betriebshof Langenfelde seinen Räumdienst auf der Busanlage U Niendorf Markt. Im Streuwagen befand sich damals kein Salz, sondern nur ein abstumpfendes Mittel.

 

 

Der viele Schnee auf Hamburgs Straßen wirkte nicht nur verkehrsberuhigend, sondern minderte auch den Verkehrslärm. Auf diesem nur dem Bus vorbehaltenen Abschnitt der Heiligengeistbrücke kam der Bus gut voran. Am 10.01.1987 erreichte der HHA-Bus 6403 (DB O 305, Baujahr 1984) die Haltestelle U Rödingsmarkt. Im Hintergrund die Fleetinsel, die sich heute dem Betrachter gänzlich verändert präsentiert.  

 

Auch in diesem Winter verblieb es zunächst beim Salzverbot auf den Straßen. Die Autofahrer durchliefen wieder einen Lernprozess, oft nicht erfolgreich, es entstanden erneut Staus und Chaos. Auf den Senator Kuhbier hagelte von den Akteuren des letzten Winters wieder Polemik nieder. Hinzu kamen aber zunehmend nervös werdende Genossen seiner eigenen Partei. Auch der Erste Bürgermeister von Dohnanyi schien nun auf Distanz zum Senator Kuhbier zu gehen. Das lag auch daran, dass am 09.11.1986 Bürgerschaftswahlen stattfanden, die der SPD ein Wahlergebnis von „nur“ 41,7 % und der CDU 41,9 % bescherte. Für die Hamburger SPD, „der CSU des Nordens“, damals ein Desaster.  Die CDU hatte aber keine eigene Mehrheit, so dass die SPD mit dem „ewigen Senat“, damals eine Besonderheit in der Hamburger Verfassung, weiter regieren konnte. Am 20.01.1987 kam es zu einer Änderung in der Geschäftsverteilung innerhalb des Senates. Die Leitung der Baubehörde übernahm Senator Wagner alleine, der bisherige Bausenator Jörg Kuhbier wurde neuer Umweltsenator, die Zuständigkeit für den Winterdienst verblieb aber in der Baubehörde. Folgt man dem Artikel von ZEIT online, gingen dem Wechsel zwei Frust-Erlebnisse des Sozialsenators Runde und des Bürgermeisters als Autofahrer voraus. Ab 20.01.1987, 0:00 Uhr, rollte die Stadtreinigung mit vollbeladenen Salz-Lastern durch Hamburg. Die Stadt wurde „eingesalzen“, für die Grünen Anlass, dem Senator Wagner den Zusatz „Pökel-Eugen“ zu verpassen.

 

 

Auch in den nächsten Tagen blieb das Wetter winterlich, in Hamburg verschwand der Schnee von den Straßen, überfrierende Nässe machte aber immer wieder neue Salzfahrten durch Hamburg notwendig. In der Mittagszeit des 30.01.1987 hielt der vom Salzeinsatz schon gezeichnete HHA-Bus 7034 (DB O 305G, Serie 7001-7035, Baujahr 1979) an der Haltestelle Grindelhof. Der Bus warb für eine heute weitgehend vergessene Supermarktkette. Das Asphaltgrau auf dem Bodenbelag der Haltestelle und der Grindelallee ist einem weiß gewichen. Es sind keine Schneereste oder Raureif, sondern pures Salz, Ergebnis des angeordneten exzessiven Salzeinsatzes. Weiter herrschte ein unangenehmer Südost-Wind, der neben den Autos das Salz immer wieder aufwirbelte und es den Passanten ins Gesicht blies. Ein paar Tage später gab es in Hamburg „Smog-Alarm“ – vergleiche „Bild des Monats Februar 2014“ (im Archiv).

 

 

Die HOCHBAHN brauchte einige Zeit, um alle Busse zu waschen. Das lag auch daran, dass auf den Betriebshöfen meist nicht ausreichend Hallenflächen zum Trocknen der Busse vorhanden waren. Am 31.01.1987 hielt der verdreckte HHA-Bus 6401 (DB O 305, Serie 6401-6420, Baujahr 1984) am Gänsemarkt. Der HOV hat mit dem Wagen 6416 einen Bus aus dieser Serie in seinem Bestand. 

 

Bis heute setzt Hamburg weiter auf Salz im Winterdienst, aber dank moderner Techniken gelang es so bis heute, weniger Salz je Quadratmeter zu verwenden. Der Schwerpunkt liegt auf Straßen mit Busverkehr. Hamburg verliert aber weiter jährlich Straßenbäume durch Umwelteinflüsse. Das mittlerweile vereinte Berlin ist 2002 mit einem „differenzierten Winterdienst“ auch wieder zum Salzgebrauch zurückgekehrt.

 

Mit einer vorgezogenen Bürgerschaftswahl am 17.05.1987 gelang es der SPD, mit 45,0 % der Wählerstimmen wieder stärkste Fraktion in der Bürgerschaft zu werden, vielleicht auch ein Ergebnis des Salzeinsatzes. Koalitionspartner wurde die FDP, die in den nächsten Jahren dem Hamburger Nahverkehr einen Sparkurs mit Angebotsreduzierungen verordnete, verbunden mit einzelnen skurrilen Vorkommnissen, die vielleicht auch einmal Thema des Monats werden.

 

Text: Lutz Achilles / HOV


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