Bild des Monats August 2017

 

Zwei Berliner in Hamburg

 

Berlin und Hamburg, als die beiden größten Städte Deutschlands, stehen heute zwar in vielfältiger Konkurrenz miteinander, aber es gibt immer wieder Momente der Gemeinsamkeit, der  Zusammenarbeit und des Austauschs. So ist der ehemalige Finanzvorstand der BVG, Henrik Falk, seit 2016 Vorstandssitzender der Hamburger Hochbahn AG.

 

In unseren Rubriken „Bild des Monats“ und „Verkehrsgeschichten“ hatten wir in der Vergangenheit davon berichtet, wie Hamburg (neben anderen bundesdeutschen Städten) mit Berlin, in schicksalhaften Situationen dieser Stadt, Solidarität gezeigt hat. Auch gab es parallele Entwicklungen im städtischen Nahverkehr. In Berlin fuhr 1865 die erste Pferdebahn mit in Hamburg-Wandsbek gebauten Wagen, Hamburg folgte 1866. Auf dem Weg zur autogerechten Stadt ging das damalige West-Berlin voran und schaffte 1967 seine elektrische Straßenbahn ab. Hamburg folgte 1978. Auch in Ost-Berlin wurde die Straßenbahn damals aus Teilen der Innenstadt verbannt. Mangelwirtschaft und Energieknappheit, aber auch die Notwendigkeit, die Neubaugebiete am Rande Ost-Berlins mit einem leistungsfähigen Verkehrsmittel zu erschließen, ließen die Straßenbahn aber überleben. Dieser Umstand ermöglicht es nun dem Westteil von Berlin, auch hier wieder die Straßenbahn als modernes und leistungsfähiges Verkehrsmittel  einzusetzen. Seitens des SPD-geführten Berliner Senats bestehen entsprechende Ausbauplanungen.

 

Museumsvereine bewahren immer ein Stück Vergangenheit vor dem Vergessen. Unserem Mitglied „Verein Verkehrsamateure und Museumsbahn e.V.“ (VVM) ist es zu verdanken, dass eine Anzahl Hamburger Straßenbahnwagen vor dem Schneidbrenner bewahrt werden konnten. 1973 fiel aber auch der Fokus einiger Mitglieder auf die noch in West-Berlin bei der BVG erhalten gebliebenen Straßenbahnwagen 3487 und 3495 des Typs TM36 mit ihrer Verbundsteuerung. Mit unserem Bild des Monats erinnern wir daran. Der Wagen 3495 gelangte im 19.07.1973 auf dem Straßenweg und der Wagen 3487 am 29.01.1974 mit dem Binnenschiff „Käthe“ nach Hamburg und dann weiter per Tieflader nach Bahrenfeld. Die Abladung der Triebwagen erfolgte auf dem stillgelegten Streckengleis der Linie 1 im Bahrenfelder Steindamm in Höhe Celsiusweg. Den Weitertransport zum nahegelegenen Straßenbahnbetriebshof über Hamburger Straßenbahngleise übernahm ein Lkw als Zugmaschine. Nach der Ankunft in Hamburg erhielten die Berliner Triebwagen 1974 von ausgemusterten V7-Triebwagen je einen Stangenstromabnehmer mit Rolle. Berlin hatte 1948 die Straßenbahnwagen vom Stangenstromabnehmer auf Scherenstromabnehmer umgestellt. Die Durchmessung der elektrischen Leitungen in den Triebwagen ergab gute Isolationswerte, so dass diese im Straßenbahnbetriebshof Bahrenfeld wieder unter Spannung gesetzt werden und erste Rangierfahrten unternehmen konnten, wie hier mit Triebwagen 3495. Die Wagen mit Zweifachsteuerung verfügen über markante Starkstromleitungen. 

 

 

Noch einmal der TM36 3495 mit seinem Mitteleinstieg im Betriebshof Bahrenfeld. Die Leine vom Stangenstromabnehmer hatte ein Verkehrsamateur damals noch zu mit seinen Händen halten. Das im Hintergrund zu erkennende Gebäude ist heute noch vorhanden und diente damals der Betriebshofverwaltung.

 

Am 02.11.1974 mussten die in Bahrenfeld stehenden Museumswagen von der Halle 2 in die Halle 1 umrangiert werden, um Platz für ausgemusterte Busse zu schaffen. Diese Aktion führte zu einer kurzen Bewegungsfahrt der beiden Berliner vom Betriebshof zur nahegelegenen Schleife Silcherstraße und zurück.

 

 

Der führende TM36 3487 hielt am 02.11.1974 kurz in der idyllisch gelegenen Schleife Silcherstraße.

 

 

 

Der Verbundzug aus 3487 und geführtem 3495 fuhr am 02.11.1974 aus der Schleife in die Silcherstraße. Im Hintergrund enteilt der V6E 3566 oder 3659 als Linie 11 in Richtung Bahrenfeld, Trabrennbahn.

 

 

Rückkehr in den Betriebshof Bahrenfeld am 02.11.1974 und Einrücken in die Halle 1.

 

Der TM36 hatte aber eine für die BVG missliche Vergangenheit. In den 1920er-Jahren mussten viele Städte im Deutschen Reich den Wagenpark ihrer Straßenbahnen erneuern, so auch in Berlin – wie auch in Hamburg. 1927 stellte die Berliner Straßenbahn-Betriebs-Gesellschaft - die heutige BVG entstand erst 1929 - einen zweiachsigen Triebwagen der Bauart 1927 mit Mitteleinstieg und in Stahlbauweise vor. Eine wichtige Neuerung war die von der AEG entwickelte Fernsteuerung für alle Schalteinrichtungen über sogenannte Schützen. Verschiedene Hersteller lieferten zwischen 1928 und Sommer 1929 300 sogenannte Schützenwagen nach Berlin. Die Verbundsteuerung erlaubte den Betrieb von mehreren Straßenbahntriebwagen im Zugverband, wobei der führende Triebwagen den bzw. die geführten Triebwagen elektrisch mitsteuerte. Geplant waren Fünf-Wagen-Züge aus drei Triebwagen und zwei dazwischen eingestellten Beiwagen. Eine Technik, heute bei Straßenbahnfahrzeugen eher Standard, die in den 1930er-Jahren für Aufsehen in der Fachwelt sorgte.

 

Technische Probleme führten dazu, dass einzelne Triebwagen durch Bremsprobleme in Unfälle verwickelt wurden. So mussten 1931 sämtliche Triebwagen dieser Serie abgestellt werden. Der weitere Einsatz von veralteten Wagen war die Folge. Ab 1933 ging die BVG daran, die Steuerung der Wagen zu überarbeiten und in verschiedenen technischen Ausführungen als TM33 (1933), TM34 (1934) und im Hinblick auf die Olympiade 1936 in Berlin als TM36 (1936) in Betrieb zu nehmen. Im Gegensatz zu den TM 34, die nur über eine Einfachsteuerung verfügten, wiesen die TM33 und TM36 eine Zweifachsteuerung auf. Für die nächsten drei Jahrzehnte prägten die TM das Erscheinungsbild der Berliner Straßenbahn mit.

 

Der Einsatz von Straßenbahnfahrerinnen in Ost-Berlin war 1953 mit ein Grund dafür, dass der durchgehende Straßenbahnbetrieb zwischen dem Ostsektor und den drei Westsektoren unterbrochen wurde. In den beiden Teilbetrieben verblieben die TM weiter im Einsatz. In West-Berlin verkehrten diese bis zum 01.10.1967 auf der Linie 55 zwischen Zoo, Hardenbergstraße und Spandau, Hakenfelde, so auch die TM36 3487 und 3495, die der VVM 1974 und 1973 übernahm. Diese Wagen gehörten auch zu den 20 Triebwagen, die am 02.10.1967 zur Verabschiedung an einem Wagenkorso teilnahmen.

 

 

Die BVG gab zu diesem Anlass diesen Sonderfahrschein heraus.

 

Ende Juni 1975 stand im Zuge der Stilllegung der Straßenbahnlinie 11 die Aufgabe des Straßenbahnbetriebshofs Bahrenfeld bevor. Die VVM-Museumswagen mussten im Mai 1975 Bahrenfeld und damit Hamburg verlassen. Über Wakendorf II gelangte die Sammlung schließlich zum Schönberger Strand an der Ostsee. Hier entstand zu dieser Zeit das Eisenbahnmuseum des VVM. Bedauerlicherweise mussten die Straßenbahnwagen jahrelang unter freiem Himmel stehen. Witterungseinflüsse, die salzhaltige Seeluft und der in der heutigen Zeit verbreitete Vandalismus setzten den Wagen stark zu, so auch den beiden Berlinern. Später konnten Hallenplätze angemietet werden, der Straßenbahn-Port entstand. So konnte zwischenzeitlich die dauerhafte Aufarbeitung einzelner Straßenbahnwagen beginnen.

 

Am 01.10.2017 jährt sich in Berlin die Stilllegung der Straßenbahn im Westteil der Stadt zum fünfzigsten Mal. An dieses Ereignis möchte die Berliner „Interessengemeinschaft Linie 55“ erinnern und den TM36 3495 aus der Sammlung des VVM hierfür nach Berlin holen. Geplant ist am 30.09.2017 die Präsentation des TM36 3495 zusammen mit dem TM36 3566 des Deutschen Technikmuseum als Verbundzug in der ehemaligen Schleife in Spandau, Hakenfelde. Am Folgetag, dem 01.10.2017, ist die Nachstellung des Wagenkorsos vor 50 Jahren vorgesehen. Dazu sollen die beiden Triebwagen auf Tiefladern die Strecke von Spandau zum Zoo zurücklegen. Begleitet werden sie von historischen Bussen der Arbeitsgemeinschaft Traditionsbus Berlin e.V., auch ein Mitglied im HOV. 

 

Mit einem hohen persönlichen und finanziellen Einsatz begann 2016 am Schönberger Strand die Aufarbeitung des Triebwagens. Obwohl im West- und im Ostteil der Stadt im Laufe der Jahrzehnte durch die BVG und die BVB eine umfangreiche Sammlung historischer Straßenbahnwagen entstand, schließt der TM36 3495 des VVM eine Lücke.

 

Unser Mitglied VVM am 02.09.2017, dem diesjährigen Tag der Straßenbahn, den 3495 der Öffentlichkeit vorstellen. Kurz danach ist der Transport nach Berlin vorgesehen. Im Laufe des Oktober 2017 erwartet der VVM den Triebwagen zurück. Eine Aufarbeitung des zweiten Wagens, 3487, ist derzeit nicht abzusehen.

 

Näheres zur Aufarbeitung des Triebwagens 3495 und dem Tag der Straßenbahn

 

http://www.vvm-museumsbahn.de/ix/ix-start/ix-start.php?id=vv-C564

 

http://www.vvm-museumsbahn.de/ix/ix-termine/Plakat-Museumsbahn-02.09.DD-A1.pdf

 

Text: Lutz Achilles / HOV


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