Bild des Monats November 2017
Hamburger Stadtomnibus der Bauart Daimler-Benz O 302
Jüngst
wurde im Hamburger Wochenblatt über die Stadtteilarchive in Hamburg berichtet,
diese seien „das Gedächtnis der Stadt“. Ohne vermessen klingen zu wollen, ist
diese Einschätzung auch auf den
Hamburger Omnibus Verein e.V. zu übertragen. Denn neben einer umfangreichen
Dokumentation in Wort und Bild über den Hamburger Nahverkehr existiert seit über vierzig Jahren die Sammlung des
HOV von Omnibussen, die für den Hamburger Stadtverkehr nach dem II. Weltkrieg
prägend waren - und einzelne Busse sind sogar „erfahrbar“. Diese Sammlung mit
ihrer reichhaltigen Typenvielfalt wollen wir unseren Lesern von Zeit zu Zeit
näher vorstellen. Das Bild des Monats
„Januar 2017“ machte den Anfang mit der Beschreibung der verschiedenen
Unterbauarten des Magirus-Deutz „Saturn II“, wie sie heute beim HOV zu finden
sind. Diese Rubrik wird nun mit dem Daimler-Benz O 302 11R/St fortgesetzt.
Es
waren Ende der 1950er Jahre die Omnibushersteller Magirus-Deutz und Büssing,
die sich auf die speziellen Anforderungen der Hamburger Hochbahn AG einließen,
um für den Hamburger Omnibusverkehr angepasste Fahrzeuge zu liefern. Bis zum
Beginn der Standardisierung im westdeutschen Omnibusbau ab 1968 waren diese
beiden Hersteller somit führend in Hamburg. Nach der Ausmusterung der letzten
DB O 321 H Ende 1962 konnte man den „guten Stern“ aus dem Hause Mercedes Benz
auf den Stadt- und Schnellbuslinien der HHA praktisch nicht mehr antreffen. Die
wenigen Kleinbusse vom Typ DB O 319 D und die beiden 1963 als Schnellbusse
beschafften DB O 322 (Wagen 5197 + 5198) waren eher „Nischenprodukte“.
Auf
der 42. IAA in Frankfurt am Main 1965 stellte Mercedes-Benz als Nachfolgemodell
des O 322 seinen „den hohen Beanspruchungen des Stadtverkehrs gewachsenen
Stadtomnibus O 302“ vor. Parallel dazu gab es die Ausführung als Reiseomnibus,
der bis heute eher mit dem Begriff „O 302“ in Verbindung gebracht wird, als die
nur in relativ geringer Stückzahl gefertigte Stadtbusausführung. Dieser war mit
der bereits erwähnten Standardisierung ab 1968 auch ziemlich schnell ein Ende
gesetzt, während die Reisebusausführung sich über Jahre fortentwickeln und mit
dem Einsatz bei der Fußball-WM 1974 in der Bundesrepublik Deutschland eine
gewisse Berühmtheit erlangen konnte. In diesem Zusammenhang könnte man die
Pinneberger Verkehrs-Gesellschaft mbH erwähnen, die dafür gesorgt hat, dass man
heute im Mercedes-Museum in Stuttgart einen entsprechenden Reisebus finden kann
- aber das ist eine andere Geschichte, die hier nicht weiter erzählt werden
soll. In der Fachpresse wies damals Mercedes-Benz auf den besonderen
Korrosionsschutz hin. Kleinteile und größere Anbauteile, sowie das gesamte
Omnibusgerippe wurden vorweg mit Zinkstaubfarbe behandelt. Einen speziellen
PVC-Unterbodenschutz mit einer 1 bis 2 mm starken Schicht brachte man mit einer
Spritzpistole auf der gesamten Unterseite des Rahmenbodens auf.
Mercedes-Benz
bot den O 302 St (St für Stadtbus) in zwei Grundversionen an: Mit 11 Sitzreihen
und 10,2 m Länge und mit 12 Sitzreihen und 10,9 m Länge. Diese konnten variiert
werden, u.a. bei der Breite der Einstiegstür, der Türenausführung (Dreh- oder
Außenschwingtüren), der Federung (Luft – oder Stahlfederung), der Motorleistung
(126 PS (OM 352) oder 150 PS (OM 327)) und einer Lenkhilfe (ZF-Kugelmutter-Hydro-Lenkung).
Die HHA beschaffte 1967 mit den Wagen „6701 – 6790“ 90 Stadtomnibusse von
diesem Typ mit 10,2 m Länge (11 Reihen) und 32 Sitz- und 58 Stehplätzen. In
Anpassung an ein neues Nummernsystem für die Busse der HHA erhielten diese Stadtbusse
ab Dezember 1971 die Nummern 1701 bis 1790. Unser Bild des Monats erinnert
daran. Das Foto zeigt den ehemaligen HHA
6789 (1789), der am 02.10.1982 seinen Weg in die Sammlung des HOV fand. Am 27.10.2002 konnte der Bus auf eigener
Achse vom ehemaligen HOV-Betriebshof Schönböken in Schleswig-Holstein nach Schwanheide in Mecklenburg überführt
werden.
Die HHA legte für die von ihr beschafften DB O
302-11R St fest, dass die Sitzanordnung weitgehend denen der Saturn-Busse
entsprach. Dazu gehörten Einzelsitze gegenüber und vor der Mitteltür und sich
abwechselnde Kunstleder-Sitzfarben von blau und rot. Im Archiv des Verfassers
dieser Zeilen fand sich keine Innenaufnahme vom 6789, so dass auf eine Innenaufnahme vom ehemaligen HHA 1744 (6744) zurückgegriffen wird. Dieser stand am 28.07.1982 ohne Kennzeichen und
Halterhinweis in Hamburg-Billbrook am Straßenrand. Typisch für den
Betriebseinsatz bei späteren Eigentümern war, dass diese für den späteren
Schulbuseinsatz die ursprünglichen Einzelsitze durch Doppelsitzbänke ersetzten
und das ursprüngliche Farbmuster sich durch Sitzflächenaustausch nach
Beschädigungen änderte. Für Kleinwüchsige und Kinder ungeeignet fanden sich die
Haltewunschknöpfe im Deckenbereich, allerdings galt das auch für alle anderen Stadtbustypen
dieser Zeit. Und das geschulte Auge des Lesers erkennt, die Heckscheibe bei
diesem Bus ist zertrümmert.
Die
Auslieferung der ersten Stadtomnibusse an die HHA begann Mitte 1967, zunächst
für den Betriebshof Wendemuthstraße (Wandsbek). Das Erscheinungsbild des 1967
für rund 130 Omnibusse neu eröffneten Betriebshof Mesterkamp (Barmbek), dessen
Tage heute schon wieder gezählt sind, prägte dieser neue Bustyp mit. Mit den
Wagen 6743 – 6790 kam zunächst über die Hälfte der Serie hierher. Später gab
Wandsbek weitere Busse ab, so dass ab 1970 die Wagen 6718 bis 6790 in Barmbek
stationiert waren. Diese Busse wurden nur im Barmbeker und Wandsbeker Raum
sowie im Hamburger Norden eingesetzt, waren im Westen Hamburgs und Harburg
unbekannt. Das änderte sich ab 1972, als einzelne Wagen an die im Auftrag der
HHA fahrenden Privatunternehmer gingen. Das Foto wurde um 1970 aufgenommen.
Die
HHA entschied sich für die Ausstattung mit der stärkeren Motorvariante OM 327,
die in der Typenübersicht der HHA mit einer Leistung von 160 PS geführt wurde.
Gegenüber den sehr laufruhigen Sechszylinder-V-Motoren der Magirus-Busse liefen
diese Reihensechszylinder im Leerlauf häufig unrund, der ganze Bus zitterte im
Stand. Vielleicht „um die Fahrer nicht zu verunsichern“ erhielten diese Busse
keine Lenkhilfe, die bei den Magirus-Deutz Bussen auch nicht zu finden war. Da
die O 302 auch in der Stadtbusausführung Merkmale von Reiseomnibussen
aufwiesen, stellte sich der Verzicht auf die Lenkhilfe als Fehler heraus. Bei
den Fahrern war dieser Bus entsprechend unbeliebt, das galt auch für dessen
Bremseigenschaften. Die Motorbremse war druckluftbetätigt und – wie auch bei
allen Magirus-Saturn-Bussen - über einen separaten Druckknopf mit dem Fuß
auszulösen. In diesem Bustyp war erstmals eine auf die Hinterräder wirkende
Druckluft-Haltestellenbremse eingebaut, die vom Fahrer mit einem kleinen Hebel
gelöst wurde, wobei jeweils ein enormes Knallgeräusch entstand. Bis dahin
mussten die Fahrer den Bus an den Haltestellen mit der Fußbremse festhalten.
Die Handbremse blieb aber eine Ratschenbremse. Erstmals war an der Deckenmitte
vorn ein „Wagen hält“-Transparent montiert, in verschiedenen
Beschriftungsausführungen.
Auch
heute werden neue Fahrzeugmodelle der Industrie in Fachzeitschriften „mit
großen Worten“ beworben. Das galt auch 1967 für diesen Stadtomnibus – hier mit
einem Foto von HHA 6712.
Am
11.10.1972 wartete der HHA 1735 (ex 6735) am Bahnhof Veddel auf Fahrgäste in
Richtung Neuhof, damals gab es da noch Wohnungen. Auf
diesem Betriebsbild ist gut zu erkennen, dass die Karosserieform nicht für den
Linienverkehr entwickelt wurde. Während der DB O 302 St in Hamburg noch über
nur eine schmale Einstiegstür verfügte, wies der rechts daneben stehende
Standardlinienbus DB O 305 einen breiten Einstiegsbereich auf, der bis heute
für den Fahrgastwechsel vorteilhafter ist. Während der kalten Jahreszeit
schützte eine Isolierfolie den Kaltlufteintritt im Frontbereich, wo das
AURORA-Bugheizgerät saß.
Im
Dachbereich war kein Platz für den Liniennummernkasten im Heckbereich
vorgesehen. Dieser musste rechts hinter der Hecksitzbank vor der Heckscheibe
aufgestellt werden. Auf dem Heckfoto des Museumsomnibusses 6789 finden sich sogar zwei Nummernkästen, allerdings steht der
linke dort nur abgestellt. Foto vom 20.10.2002.
Zum
Abschluss noch zwei Detailaufnahmen
vom Fahrerbereich und Einstiegsbereich des ehemaligen 1744 (6744),
die das Flair früherer Zeiten
ausstrahlen.
Bei
der HHA endete der Einsatz dieser Busse bereits 1974. Über Händler gelangten
einige Busse sogar nach Afghanistan. So
rollten später vom Bürgerkrieg schon gezeichnete ehemalige Hamburger Busse auf
Fernsehbildern der abendlichen „Tagesschau“ durch Kabul.
Wie das Bild des Monats zeigt,
weist der vom HOV erhaltene DB O 302 Wagen 6789 starke Korrosionsschäden auf,
die eine kostenaufwendige Instandsetzung unterhalb der Fensterlinie erfordern.
Aber er ist ein Meilenstein in der Omnibusentwicklung der alten Bundesrepublik
und in seiner Ausführung als kurzer Stadtbus mit schmaler Einstiegstür nach
unserer Kenntnis das letzte Exemplar seiner Art in Deutschland.
Text: Lutz Achilles / HOV