Bild des Monats September 2018

 

 

Vor 40 Jahren wurde den Hamburgern ihre Straßenbahn genommen.

 

Am 30.09.1978 endete in Hamburg nach 84 Jahren der reguläre Betrieb der elektrischen Straßenbahn. Die Pferdebahn nach Wandsbek machte bereits 1866 als Vorläuferin den Anfang. Mit unserem „Bild des Monats“ erinnern wir an dieses traurige Ereignis, das für die Hamburger Verkehrsgeschichte eine tiefe Zäsur bedeutete, deren Folgen noch heute für die Fahrgäste zu spüren sind. Am Nachmittag des 30.09.1978 fanden sich viele Besucher auf dem Betriebshof Lokstedt ein, um die Vorbereitung der beiden Sonderwagen V6E 3603 und 3633 auf den abendlichen Einsatz zu beobachten. Von der Alsterschifffahrt ausgeliehene Absperrgitter unterbanden den Zutritt zur Wagenhalle.

 

Nach dem Wiederaufbau der im II. Weltkrieg zerstörten Verkehrsinfrastruktur bildete die Straßenbahn erneut den Hauptverkehrsträger für die tägliche Beförderung der Hamburger und Hamburgerinnen. Aber auch der schon vor dem II. Weltkrieg nennenswerte Kfz-Verkehr in Hamburg nahm in den 1950er-Jahren wieder zu. Weiter gelangte die Straßenbahn in der Innenstadt an ihre Kapazitätsgrenzen, so dass es dort auf einigen Strecken zur Konvoibildung von Straßenbahnzügen kam. Anlass für den aus CDU, FDP und DP gebildeten Senat, 1955 in einer Denkschrift sich Gedanken zu einer „Neuordnung des Hamburger Stadtverkehrs“ zu machen. Geleitet von der Idee einer autogerechten Stadt sah der Senat vor, dem Autoverkehr leistungsfähige Straßen zur Verfügung zu stellen. Die Hauptlast im ÖPNV hatten künftig die Schnellbahnen (hier vor allem die U-Bahn) zu tragen, die es auszubauen galt, um so die Straßen von den Straßenbahnen zu entlasten. Die „Zubringerdienste und die Verbindung der Außenbezirke miteinander“ ordnete der Senat der Straßenbahn und dem Omnibus zu. Der Bürgerliche Senat sah ein großes Ausbauprogramm für die U-Bahn, der städtischen Schnellbahn, vor, um so einzelne Straßenbahnstrecken zu ersetzen. Der Senat plante Investitionen von 1.168 Millionen DM, davon 837 Millionen DM für den Straßenausbau und nur 331 Millionen DM für die U-Bahn. In den Überlegungen des Senats spielte damals die Straßenbahn weiter eine Rolle, sogar einzelne Streckenverlängerungen im Außenbereich benannte man als Option. Also war zunächst kein generelles „Aus“ für die Straßenbahn in Hamburg geplant.

 

Das änderte sich ab 1958. Die SPD stellte erneut den Hamburger Senat. Zunehmende Stimmungsmache eines Boulevardblattes aus einem Hamburger Verlagshaus gegen die „unsichere“ und „veraltete“ Straßenbahn, die „den Autoverkehr behindere“, schürte die Stimmung gegen die Straßenbahn in Hamburg. Der Senat verschloss sich dem nicht. Parallel zum Ersatz von Straßenbahnen durch neue U-Bahnstrecken stellte man mit der Zeit weitere Straßenbahnlinien auf Omnibusbetrieb um, obwohl ein Ersatz durch eine Schnellbahn nicht in Aussicht stand. Bevorstehende Straßenausbaumaßnahmen dienten hier oft als Begründung. Auch mit der Einführung des Hamburger Verkehrsverbunds änderte sich daran nichts.

 

 

Der V6E 3633 erreichte gegen Mitternacht des 30.09.1978, dem letzten Betriebstag der Hamburger Straßenbahn, zusammen mit dem ältesten Straßenbahnfahrer Edmund Spies die Schleife in Schnelsen. Das NDR-Fernsehen war für seine Dokumentation „Abgeklingelt“ vor Ort und spendete Licht.

 

Am 01.01.1967, dem letzten Tag vor dem Inkrafttreten des ersten HVV-Gemeinschaftsfahrplanes in Hamburg, verkehrten in Hamburg noch folgende Straßenbahnlinien im Tagesbetrieb:

 

1

Lurup – Bf. Altona – Rathausmarkt – Hamm - Billstedt

2

Schnelsen – Hoheluft – Rathausmarkt – Horner Rennbahn

3

Langenfelde – Eimsbüttel – Rathausmarkt – Winterhude, Goldbekplatz

4

Niendorf – Hoheluft - Rathausmarkt

7

Othmarschen – Bf. Altona – Rathausmarkt – Hamm - Billstedt

9

Flughafen – Alsterdorf – Winterhude – Rathausmarkt – Hauptbahnhof / ZOB

11

(Lurup-) Bahrenfeld – U Feldstraße – Rathausmarkt – Bf Veddel – Rönneburg

14

U St. Pauli – Eimsbüttel – Winterhude – Bf Veddel

15

Altona, Rathaus – Bf. Altona – Eimsbüttel – Winterhude – Hamm – Schurzallee

16

U Lutterothstraße – Eimsbüttel – Rathausmarkt – Winterhude, Lattenkamp

18

Eppendorf, Markt – Rotherbaum – Rathausmarkt (– Hauptbahnhof / ZOB)

19

Bf. Berliner Tor – Hammerbrook – Großmannstraße - Billbrook

 

Bereits am 02.01.1967 gab es durch die Verlängerung der U-Bahn von Berliner Tor zur Horner Rennbahn erste Änderungen:

 

02.01.1967

Linie 2 nicht mehr nach Horner Rennbahn, nur noch Schnelsen – Hbf./ZOB

Linie 3 verlängert nach Winterhude, Lattenkamp (für Linie 16)

Linie 4 nicht mehr nach Horner Rennbahn, nur noch Niendorf – Rathausmarkt

Linie 5 – neu – U Burgstraße – U Horner Rennbahn

Linie 15 nicht mehr ab Schurzallee, nur noch Altona, Rathaus – U Burgstraße

Linie 16 U Lutterothstraße – Winterhude, Lattenkamp eingestellt

28.05.1967

Linie 7 nicht mehr nach Billstedt, nur noch Hochrad – Hbf./ZOB

24.09.1967

Linie 14 nicht U St. Pauli – S Veddel, sondern Bf. Altona – S Veddel

Linie 19 S Landwehr – Billbrook, kehren U/S Berliner Tor entfällt

17.10.1967

Kein Betrieb mehr in der Stadionstraße

 

Der HVV-Winterfahrplan 1968/69 zeigte noch folgende Netzpläne der Straßenbahn im Tag- und Nachtbetrieb:

 

 

 

 

29.09.1968

Linie 1 nicht mehr nach Billstedt, nur noch Lurup – Goldbekplatz

Linie 18 nicht mehr nach Hbf./ZOB, nur noch Eppendorf - Rathausmarkt

30.05.1969

Linie 18 eingestellt, dafür Busbetrieb auf zwei Teilstrecken

28.09.1969

Linie 19 U Burgstraße - Billbrook

30.05.1970

Linie 7 eingestellt und auf Busbetrieb (Linie 387) umgestellt

Linie 11 nicht mehr nach Rönneburg, nur noch Lurup – Hbf./ZOB, dafür

Linie 12 – neu – Rathausmarkt – Rönneburg

Nachtverkehr Linie 2, 3, 11 und 15 eingestellt, dafür Nachtliniennetz mit Bussen (600er-Linien)

27.09.1970

Straßenausbau Ring 2:

Linie 14 nicht mehr ab Bf. Altona, nur noch Lattenkamp – S Veddel

Linie 15 nicht mehr ab Altona, Rathaus, nur noch Grindelberg – U Burgstraße; Teilstrecken auf Busbetrieb umgestellt.

Linie 19 eingestellt, Buslinie 160 als Ersatz

22.05.1971

Linie 2 verlängert nach Wilhelmsburg, Mengestraße, jetzt Schnelsen – Wilhelmsburg

Linie 12 eingestellt, dafür Buslinie 156

26.09.1971

Linie 5 eingestellt, dafür Linie 15 verlängert nach U Horner Rennbahn

28.05.1972

Linie 2

Teilbetriebe Schnelsen – Rathausmarkt und Niendorf – Wilhelmsburg

Linie 4 eingestellt

03.06.1973

Linie 1 nicht mehr nach Lurup, nur noch Rathausmarkt – Goldbekplatz,  Buslinie 188 als Ersatz.

Linie 3 nicht mehr nach Langenfelde, nur noch Rathausmarkt – Lattenkamp, Busse auf einer Teilstrecke und Linie U2 als Ersatz

Linie 11 nicht mehr nach Lurup, nur noch Bahrenfeld – Hbf. /ZOB

26.05.1974

Linie 9 (Flughafen – Hbf./ZOB) eingestellt, dafür Buslinie 109

28.09.1974

Linie 1 Lattenkamp – Rathausmarkt, dafür Linie 3 eingestellt

01.06.1975

Linie 14 zeitweise verlängert nach Wilhelmsburg, Mengestraße

29.06.1975

Linie 11 eingestellt, dafür Buslinie 288

24.09.1975

Linie 2 nicht mehr nach Wilhelmsburg, nur noch Schnelsen – S Veddel, Busse zunächst als Schienenersatzverkehr

Linie 2 ohne Beiwagenbetrieb

Linie 14 nicht mehr nach Wilhelmsburg, nur noch Lattenkamp – S Veddel

05.03.1976

Der Beiwagenbetrieb endet – zuletzt Linie 1

07.03.1976

Linie 2 nicht mehr nach S Veddel, nur noch Schnelsen- Hbf. /ZOB, Strecke nach Wilhelmsburg auf Busbetrieb (Linie 105) umgestellt

Linie 15 eingestellt, dafür Linie 14 Teilbetriebe

Lattenkamp – S Veddel und Lattenkamp  – U Burgstraße (Strecke Grindelberg – Winterhude, Markt nicht befahrbar wegen Bauarbeiten Hudtwalckerstraße , dafür Schienenersatzverkehr Eppendorf, UKE – Goldbekplatz

18.07.1976

Linie 14 Schienersatzverkehr aufgehoben, Straßenbahn-Teilbetriebe Grindelberg – U Burgstraße und Lattenkamp – S Veddel

22.05.1977

Linie 1 eingestellt, ersetzt durch Buslinie 108

Linie 14 eingestellt, ersetzt durch Buslinie 106

28.05.1978

Linie 2 nicht mehr nach Hbf. / ZOB, nur noch Schnelsen – Rathausmarkt

30.09.1978

Linie 2 eingestellt, ersetzt durch Buslinie 102

01.10.1978

Sonderbetrieb Linie 2 zur Verabschiedung Straßenbahnbetrieb in Hamburg

 

 

Am letzten Betriebswochenende ließen viele Hamburger unzählige Münzen als Andenken durch die Straßenbahnwagen „platt fahren“ – hier am Reesendamm mit dem V6E 3552.

 

Ab Ende der 1960er-Jahre stellten sich vermehrt Defizite in den öffentlichen Haushalten ein, so auch in Hamburg. Ehrgeizige Schnellbahnplanungen für Hamburg überprüfte man nun kritisch und verwarf Planungen. Im Zusammenhang mit der Gründung des HVV ging Hamburg die Verpflichtung ein, sich am Ausbau der Hamburger S-Bahn finanziell zu beteiligen. Hierdurch wurden in Hamburg über Jahre Haushaltsmittel gebunden, diese fehlten für den Ausbau der U-Bahn als Ersatz von Straßenbahnstrecken. Hamburg trennte sich zunehmend von der Vorgabe, Straßenbahnstrecken durch Schnellbahnen zu ersetzen. Stattdessen übernahmen Busse den Betrieb, oder bisherige Direktverbindungen der Straßenbahn ersetzte man durch „gebrochenen Verkehr“, aus einer Kombination aus Bus und Schnellbahn, verbunden mit Zeitverlusten für den Nutzer durch das Umsteigen. Neben zunehmend gut ausgebauten Straßen mit ein Grund, warum in den 1970-er und 1980er-Jahren im HVV die Fahrgastzahlen begannen zu stagnieren bzw. zu sinken.

 

Aufkommende Kritik und Proteste begegnete die in Hamburg für den Verkehr zuständige Wirtschafts- bzw. Baubehörde mit einer Forcierung der Umstellung auf Busbetrieb und durch die Senatsposition bestätigende Gutachten.

 

Der Sommerfahrplan 1977 wies nur noch die Straßenbahnlinie 2 auf, die von Schnelsen nach Hauptbahnhof/ZOB, dem heutigen Elektro-ZOB, verkehrte. Ein Netz bestand nicht mehr, doch bei der Linie 2 handelte sich um eine sehr stark nachgefragte Straßenbahnstrecke, so dass die Verantwortlichen von einer vorzeitigen Umstellung dieser Linie auf Busbetrieb zunächst Abstand nahmen. Für die HOCHBAHN hatte das zur Konsequenz, dass die Mitte 1977 abgeschlossene Auslieferung von Stadtbussen zu einem Überbestand führte. Die HOCHBAHN-Tochter Pinneberger Verkehrsgesellschaft mbH, aber auch die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein AG mussten diese Überbestände an Bussen übernehmen.

 

 

Entlang der Strecke von der Innenstadt bis Lokstedt fanden sich viele Hamburger ein, um ihre Straßenbahn zu verabschieden, hier am Nachmittag des 01.10.1978 in der Kollaustraße mit dem V6E 3628 an der Spitze.

 

Mit der von der HOCHBAHN-Tochter FFG entwickelten Knickwinkelsteuerung gelang es Daimler-Benz, Schubgelenkbusse mit besseren Fahreigenschaften gegenüber herkömmlichen Gelenkbussen mit gezogenem Nachläufer zu bauen. Die bevorstehende Umstellung der Straßenbahnlinie 2 auf Busbetrieb sollte dazu genutzt werden, um hier diese neuartigen Gelenkbusse in Hamburg einzuführen. Aufgrund von Lieferschwierigkeiten des Herstellers Daimler-Benz standen diese Busse erst ab April 1979 zur Verfügung. Für die die Straßenbahnlinie 2 ersetzende Buslinie 102 standen so im ersten halben Jahr nach der Umstellung nur „normale“ Stadtbusse zur Verfügung, die entsprechend eng getaktet fahren mussten.

 

Kritik von Abgeordneten führte beim Senat dazu, die Verlängerung der U-Bahnlinie 2 von Hagenbecks Tierpark über Niendorf Markt nach Niendorf Nord „als Ersatz für die Straßenbahnlinie“ zuzusagen. Am 07.07.1979 begannen die Bauarbeiten. Die starken Nutzerzahlen der heutigen Metrobuslinie 5, als Nachfolger der Buslinie 102, zeigen, dass ein Ersatz der Straßenbahn durch die verlängerte U-Bahnlinie sich nicht eingestellt hat. Und die damals der Straßenbahn zugeschriebene Behinderung des Autoverkehrs ist mittlerweile für Viele der Erkenntnis gewichen, dass der Autoverkehr sich zunehmend selbst behindert und eine reibungslose Abwicklung des Busverkehrs erschwert.

 

 

Auch eine Art um die Hamburger Straßenbahn in Erinnerung zu behalten.

 

 

Einige Straßenbahnwagen setzten am späten Nachmittag des 01.10.1978 nicht planmäßig zum Betriebshof Lokstedt aus, sondern fuhren noch einmal nach Schnelsen und Niendorf. Es war schon dunkel geworden als diese Wagen den Weg zurück nach Lokstedt fanden, hier der V6E 3628 in der Kollaustraße.

 

Das „Hamburger Abendblatt“ begleitete die letzten Tage und Wochen der Straßenbahn mit einer täglichen, oft kritischen Berichterstattung zum bevorstehenden Ende der Straßenbahn. Am 30.09.1978 konnten die Hamburger regulär und am 01.10.1978 mit einem Bürgerfest von ihrer Straßenbahn Abschied nehmen.

 

 

 

Am Ende dieser Darstellung sollen zwei Zitate nicht fehlen:

„Es kann sein, dass es ein Fehler gewesen ist.“ So der damalige Erste Bürgermeister Hans-Ulrich Klose 1978, anlässlich der großen Anteilnahme der Hamburger zum Ende ihrer Straßenbahn in Hamburg.

 

In den folgenden Jahrzehnten gab es immer wieder Versuche, in Hamburg eine moderne Straßenbahn als Stadtbahn einzuführen, die im Einzelfall fast die Planfeststellungsreife erreichten. Die SPD und CDU als Volksparteien zeigten hier eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit, von „dafür“ über „dagegen“ zu wieder „dafür“ und auch umgekehrt. Das Ergebnis ist bekannt:

„Für die Mobilität in Hamburg ist das kategorische Aus bei der Stadtbahn falsch, da es eine politische, keine fachliche Entscheidung war. Keine europäische Metropole verzichtet beim Mobilitätsangebot auf eine Straßenbahn.“, so berichtete das Hamburger Abendblatt am 20.08.2018 über die Verkehrswissenschaftlerin Philine Gaffron von der TU Hamburg.

 

 

 

Text: Lutz Achilles / HOV


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