Bild des Monats
September 2010
90
Jahre elektrisch in die Walddörfer
Eine konventionelle Hamburger U-Bahn fährt am Rand der in
Schleswig-Holsten gelegenen Stadt Ahrensburg entlang von Wiesen mit weidenen
Pferden und ohne erkennbare Bebauung. Sicherlich würde heute angesichts knapper
Haushaltskassen und anderer Formen der Flächenerschließung eine teure U-Bahn
mit dieser Streckenführung so nicht mehr gebaut. Aber es gibt sie, die
sogenannte Walddörferbahn, die heute mit einem großen Teil ihrer Strecke in der
Hamburger U-Bahnlinie 1 aufgegangen ist. Vor 90 Jahren, am 06.09.1920, fuhr der
erste elektrische U-Bahnzug von Barmbek (damals noch Barmbeck) nach Volksdorf.
Die ebenfalls elektrisch betriebene Kleinbahn von Alt-Rahlstedt
nach Volksdorf, später nach Wohldorf verlängert, gab es zwar schon seit
September 1904, doch hatte diese Überlandstraßenbahn nicht die
Erschließungswirkung, wie die spätere Walddörferbahn und soll hier nicht näher
betrachtet werden.
Der Bau der Schnellbahnverbindung mit der heute jedem
Fahrgast bekannten Streckenführung verdankt man dem Wunsch von Hamburgs Senat
und Bürgerschaft, Teile des zerklüfteten Staatsgebietes durch ein
leistungsfähiges Schienenverkehrsmittel zu erschließen. Vor der 1937 unter
Verantwortung der nationalsozialistischen Reichsregierung vorgenommenen
Neugliederung des Hamburgischen Staatsgebietes gab es neben dem Stadtgebiet
eine Anzahl von Landgemeinden und kleineren Städten, die keine Verbindung zum
Hamburger Stadtgebiet hatten. Diese Hamburger Exklaven waren von preußischem
Staatsgebiet umgeben. Um die Abwanderung steuerkräftiger Hamburger Bürger in
das preußische Umland zu verhindern, mussten die Exklaven durch eine gute
Verkehrsanbindung nach Hamburg aufgewertet werden. Hierzu bediente man sich der
seit 1912 fahrenden Hochbahn, der heutigen Hamburger U-Bahn. Ein im Frühjahr
1911 vorgelegter Untersuchungsbericht ergab, dass eine elektrische Schnellbahn,
die in Barmbek ihren Ausgangspunkt nahm, in Süd-Nord-Richtung die Hamburger
Exklaven Farmsen, Volksdorf und Ohlstedt/Wohldorf anbinden konnte. Eine in
Volksdorf beginnende Zweiglinie konnte dazu noch die Exklave Groß-Hansdorf
erreichen. Um nicht in Konflikt mit der Lübeck-Büchener Eisenbahn zu kommen,
musste im Raum Ahrensburg eine aus heutiger Sicht ungünstige Streckenführung
gewählt werden, die das Stadtgebiet nur am Rand und den Bahnhof Ahrensburg
überhaupt nicht berührte.
Die Bauarbeiten begannen 1912, die Betriebsaufnahme war für
1915 vorgesehen. Der I. Weltkrieg verhinderte dies aber. Die Grundeigentümer
hatten sich durch eine Abgabe an den Baukosten zu beteiligen. Kurz vor Ende des
Kriegs, am 12.09.1918, konnte die Strecke zwischen Barmbek und
Ohlstedt-Wohldorf provisorisch eröffnet werden. Allerdings nur eingleisig und
nicht elektrisch, denn hierfür fehlten die Rohstoffe, stattdessen mit in
Belgien erbeuteten Dampflokomotiven. Deren Rückgabe führte im Juli 1919 zur
Betriebseinstellung. Nach Beschaffung der elektrischen Ausrüstung für ein
Streckengleis konnte am 06.09.1920 der elektrische Betrieb zwischen Barmbek und
Volksdorf eingleisig eröffnet werden. Bei allen Schwierigkeiten gelang es in
den Folgemonaten, den Betrieb u.a. durch Inbetriebnahme von Ausweichen, später
auch durch ein durchgehendes zweites Gleis nach Volksdorf zu erweitern.
Die Strecke Volksdorf – Großhansdorf war zunächst noch
zweigleisig angelegt. Um Material für die noch fehlenden Stromschienen für die
Strecken nach Großhansdorf und Ohlstedt zu gewinnen, wurde das zweite Gleis
hinter Buchenkamp wieder abgebaut. Im November 1921 konnte der Betrieb ab
Volksdorf nach Großhansdorf und im Februar 1925 nach Ohlstedt aufgenommen
werden. Hinter Volksdorf blieb das Fahrgastaufkommen gering, so dass hier Züge
aus einem U-Bahnwagen genügten. Hierfür wurden durch den Hamburger Staat
Triebwagen mit zwei Führerständen beschafft. Die Betriebsführung der
Walddörferbahn hatte zwar die Hamburger Hochbahn AG, diese führte sie aber auf
Rechnung des Hamburger Staats durch. Dem oblag es u.a. die Betriebsmittel zu
beschaffen. Der sich heute im Museumswagenbestand der HOCHBAHN befindliche Wagen
220 (T 6) wurde 1920 für die Walddörferbahn beschafft. Er ist auch auf
unserem Bild des Monats zu sehen, als er am 15.06.1996 in Erinnerung an
die Eröffnung der Walddörferbahn zwischen Volksdorf und Großhansdorf pendelte,
hier zwischen Ahrensburg-Ost und Schmalenbeck.
Die Neuordnung des Staatsgebiets und die verstärkte
Ansiedlung von ausgebombten Hamburgern in den Walddörfern ließen die
Beförderungszahlen steigen. Um die Kapazität der beiden Zweiglinien zu
erhöhen, wurde in den 1950er Jahren die Strecke nach Ohlstedt zweigleisig
ausgebaut, die Strecke nach Großhansdorf erhielt in Ahrensburg-West eine
Ausweiche. Dadurch konnte hier ein 10-Minuten-Takt eingeführt werden. Die Verknüpfung
der Walddörferbahn in Wandsbek-Gartenstadt mit der 1963 eröffneten Wandsbeker
U-Bahn brachte den Fahrgästen Zeitgewinne auf ihrer Fahrt in die
Hamburger Innenstadt.
Im Vergleich mit anderen Strecken im Hamburger U-Bahnnetz
blieb das Fahrgastaufkommen insbesondere auf der Strecke Volksdorf –
Großhansdorf bis heute gering. Zwar konnte es durch den Siedlungsbau auf
Hamburger Gebiet im Raum Buchenkamp gesteigert werden. Doch gab es in Zeitungen
der 1990er Jahre immer wieder Meldungen über eine beabsichtigte Stilllegung.
Verhandlungen mit dem Land Schleswig-Holstein und einzelner Gemeinden führten
zu deren finanzieller Beteiligung am Defizit. Umfangreiche Investitionen in die
Infrastruktur schlossen sich an und haben damit dem Abschnitt die Zukunft gesichert.
Aber auch schon lange davor hatte die HOCHBAHN versucht, auf vielfältige Weise
den Betrieb rationeller zu gestalten. Dazu gehört der frühzeitige Verzicht auf
Haltestellenpersonal, aber auch das zum Sommerfahrplan 1994 aufgegebene
regelmäßige Schwächen und Verstärken der Züge in Volksdorf. Das dadurch
eingesparte Personal rechtfertigt so das für den Betrachter übermäßig
erscheinende Beförderungsangebot durch ganztägige Acht-Wagenzüge.
Text: Lutz Achilles, HOV